Editorial

Will die Schweiz auf stumm schalten?

Das Auslandmandat der SRG SSR wird gerade in die Zange genommen. Fällt es, brechen mehrere Vektoren der internationalen Präsenz der Schweiz weg. Damit würden wir es tatenlos anderen überlassen, für uns zu sprechen. Wollen wir das?

Nicht von ungefähr umfasst der Informationsauftrag der Eidgenossenschaft an die SRG SSR eine Ausland-Komponente. Es ist nicht egal, was jenseits der Landesgrenzen aus der Schweiz und über die Schweiz verbreitet wird. Wir leben in einem Zeitalter der Filterblasen, grassierender Falschmeldungen, gezielter Desinformation und absichtsvoller Medienmanipulation. Da ist eine verlässliche, hohen journalistischen Standards verpflichtete und permanenter Qualitätskontrolle unterworfene Quelle von unschätzbarem Wert. Die SRG liefert dies in Form der Onlineangebote von SWI swissinfo.ch und von TV-Partnerschaften in drei Landessprachen. Dem Auslandsegment des Service-public-Auftrags droht aber gerade jetzt das Aus. Das bliebe nicht ohne Folgen für die Aussenwahrnehmung und das Image der Schweiz. Man bedenke die aussenpolitischen Konsequenzen, bevor man den Stecker zieht!

Der Bund muss sparen. Im Herbst hat der Bundesrat aus einem Kompendium möglicher Sparmassnahmen (Bericht der Expertengruppe Gaillard) ein Massnahmenpaket kompiliert, in dem unter anderem die Streichung des Bundesbeitrags für das Auslandangebot der SRG figuriert. Es geht um 18,9 Millionen Franken, davon rund die Hälfte für die zehnsprachige Plattform SWI swissinfo.ch und das italienische Onlineangebot tvsvizzera.it, die andere Hälfte für die Beteiligung an den 3sat auf Deutsch und TV5 auf Französisch. Gemäss Radio- und Fernsehgesetz steuert der Bund 50% zu den jeweiligen Budgets bei, die andere Hälfte muss die SRG aufbringen.

Die SRG muss sparen. Im August 2023 ist die Initiative «200 Franken sind genug!» eingereicht worden. Sie verlangt eine drastische Reduktion der Radio-Fernseh-Gebühr von aktuell 335 Franken im Jahr. Als Gegenvorschlag will der Bundesrat die Gebühr bis 2029 schrittweise auf 300 Franken senken. Das heisst für die SRG, dass sie den Gürtel so oder so wesentlich enger schnallen muss. Auf was die neue SRG-Führung glaubt verzichten zu können, ist noch offen. Aber es liegt auf der Hand, dass die Auslandangebote, zu welchen der Bund nicht mehr beitragen will, besonders exponiert sind.
Was steht auf dem Spiel? Dass das deutschsprachige Gemeinschaftsangebot 3sat (mit 5 Millionen Zuschauenden pro Tag) in Zukunft ohne schweizerische Programme daherkommt. Dass das französischsprachige Pendant TV5Monde (in mehr als 200 Ländern von über 437 Millionen Haushalten empfangbar) ohne Schweiz stattfindet. Dass die Schweiz aus den Angeboten des italienischsprachigen Pendants verschwindet. Und vor allem, dass Swissinfo in der heutigen Form nicht weitergeführt werden könnte. Ohne Budget lässt sich die Schweiz nicht auf Deutsch, Französisch, Italienisch, Englisch, Spanisch, Portugiesisch, Japanisch, Chinesisch, Arabisch und Russisch vermitteln.

Braucht es das? Um bei Swissinfo zu bleiben: 2023 zählte das Onlineportal zusammen mit dem italienischsprachigen Angebot tvsvizzera.it insgesamt 45 Millionen Visits. Während der Coronakrise waren es gar 63 Millionen. Auf den sozialen Medien folgen Swissinfo über 2,3 Millionen Menschen weltweit. Wer sind diese Nutzerinnen und Nutzer? Es sind an der Schweiz interessierte Menschen in Unternehmen, Medien, der Zivilgesellschaft, Touristen, dann Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, die ihrerseits häufig als Multiplikatoren wirken, aber auch ausländische Behörden einschliesslich der diplomatischen und konsularischen Vertretungen in der Schweiz, schliesslich Expats in der Schweiz.
Man komme mir nicht damit, jeder könne sich ja alles auf dem Internet zusammensuchen oder sich bei einer SRG-App bedienen. Um ihr Publikum zu erreichen, muss Information publikumsspezifisch angeboten werden. Wer in New York, Shanghai oder Mumbai wohnt, lebt in einem anderen Medienumfeld. Soll ihm die Schweiz nahegebracht werden, muss sie als Konzentrat und didaktisch auf ein ausländisches Publikum konfektioniert daherkommen. Dies genau ist die Leistung von Swissinfo: ein Digest international relevanter Themen aus der Schweiz, für ein internationales Publikum aufbereitet, in dessen Sprachen, darunter den wichtigsten Weltsprachen. Kein anderer Zweig der SGR und keine Zeitung leistet das. Keiner könnte die Lücke füllen.

Publikumsspezifische Aufbereitung beginnt bei der Themenwahl: Swissinfo unterscheidet sich von anderen Schweizer Medien durch seinen Fokus auf Themen wie Schweizer Aussenpolitik, Demokratie und Rechtstaatlichkeit, das Internationale Genf, multinationale Unternehmen, international relevante Wissenschaft und Kultur. Für die über 813’000 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, von denen jeder vierte seine politischen Rechte in der Schweiz wahrnimmt, ist die zuverlässige, synthetische Information über eidgenössische Abstimmungen und Wahlen unentbehrlich. Es geht also um ein Segment des Service public, das durch kommerzielle Anbieter nicht abgedeckt wird. Und es geht um eine vertrauenswürdige Quelle. Nicht von ungefähr wird die Einhaltung des Auftrags und hoher journalistischer Standards durch einen Publikumsrat laufend überwacht.

Was hat das mit Aussenpolitik zu tun? Sehr viel! Das Aussenbild der Schweiz wird durch die internationalen Angebote der SRG wesentlich mitgeprägt. Swissinfo wird wöchentlich in 50 bis 80 ausländischen Medien zitiert, übersetzt, verlinkt. Es macht einen Unterschied, ob ein schweizerisches Service-public-Medium die Schweiz und insbesondere schweizerische Aussenpolitik in den grossen Weltsprachen erklärt oder ob dies wohlwollenden und vielleicht manchmal weniger wohlwollenden Dritten überlassen wird. Als Stimme aus einem neutralen Land ist Swissinfo so etwas wie ein Seismograph der Befindlichkeit der Welt: internationale Spannungen und Krisen spiegeln sich regelmässig in der Nachfrage. SWI swissinfo.ch ist ein Element schweizerischer Soft Power.
Wir sind gerade Zeugen besorgniserregender internationaler Verwerfungen. Die globale Ordnung gerät zunehmend aus den Fugen, Konflikte häufen sich und drohen ineinanderzufliessen, Informationen (und vor allem Desinformation) werden immer ungenierter als Waffe eingesetzt. Gleichzeitig erleben wir die wachsenden Mühen des schweizerischen Sololaufs innerhalb Europas und eine Erosion des Verständnisses unserer wichtigsten Partner für helvetische Besonderheiten und unser Pochen auf «Sonderfall». Und in dieser Situation wollen wir uns auch noch stummschalten?

Der Rückzug ins Schneckenhaus, auch medial, ist keine erfolgversprechende aussenpolitische Strategie. Der Entscheid über Existenz oder Exit des SRG-Auslandauftrags ist von hoher aussenpolitischer Brisanz. Daran muss man sich erinnern in der im Januar beginnenden Vernehmlassung zum Sparpaket des Bundes. Es gibt Sparmassnahmen, die teuer zu stehen kommen. Die Streichung des Bundesbeitrags für das Auslandmandat der SRG SSR wäre eine solche!

#Schweizer Aussenpolitik

Der Autor

Rudolf Wyder ist Vizepräsident der SGA ASPE. Er war Direktor der Auslandschweizer-Organisation und präsidierte von 1997 bis 2008 den Publikumsrat von Schweizer Radio International/swissinfo.

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