Kolumne

Weniger Aussenpolitik für mehr Armee? Ein historischer Entscheid

Zurzeit diskutieren die Eidgenössischen Räte parallel zwei milliardenschwere Politikthemen: die jeweiligen Mehrjahresprogramme 2025-2028 zur Entwicklungspolitik und zur militärischen Landesverteidigung. Von zahlreichen Politikerinnen und Politikern von Der Mitte über die FDP bis zur SVP werden die beiden Geschäfte verknüpft: Ein kurzfristiger massiver Ausbau der militärischen Landesverteidigung auf 29.8 Milliarden Franken für die nächsten vier Jahre soll zur Hälfte mit Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) gegenfinanziert werden.

Bei den Befürworterinnen und Befürwortern dieses Ansatzes lassen sich zuhauf Missverständnisse, Mutmassungen, ja sogar blosse ideologische Behauptungen ausmachen. Sachliche Argumente, Augenmass und pragmatische Politik haben in der Diskussion dagegen einen schweren Stand. Dies insbesondere auch, weil unseren Volksvertreter und -vertreterinnen von heute eine wichtige Eigenschaft abhanden gekommen ist: Einander vorbehaltlos zuzuhören und Fakten anzuerkennen.

Wie an dieser Stelle am Beispiel Armenien dargelegt, halte ich  das EZA-Programm der Schweiz für langfristig das wichtigste globale sicherheitspolitische Instrument der Schweiz. Das Bundesparlament läuft Gefahr, mit seinen Entscheiden nicht nur Glaubwürdigkeit und Ansehen der Schweiz in der Welt, sondern auch unsere eigenen sicherheitspolitischen Interessen substantiell zu beeinträchtigen. Das Beispiel Armenien legt nahe, die Schweizer EZA noch konsequenter für Konfliktprävention zu nutzen.

Vollständig übersehen und teilweise bewusst verschleiert wird in der Diskussion auch, wie die finanzpolitischen Gewichte bereits in der Vergangenheit zulasten der EZA verschoben worden sind. So sind die Ausgaben für militärische Landesverteidigung laut offiziellen Zahlen zwischen 2014 und 2022 um 44.5% gestiegen, gegenüber weniger als 15% für die EZA. In Zahlen waren dies 2022 rund 3 Milliarden Franken für die EZA, gegenüber 6.1 Milliarden Franken für die militärische Landesverteidigung. Laut Parlamentsbeschluss sollen die Armeeausgaben bis 2030 auf rund 9.5 Milliarden Franken pro Jahr ansteigen.

Während der Ständerat sich vor Kurzem deutlich gegen die Finanzierung der Armee auf Kosten der EZA ausgesprochen hat, hat der Nationalrat am 19. September 2024 in die Gegenrichtung entschieden: Zur Finanzierung der zusätzlichen Mittel für die Armee soll auch die EZA beigezogen werden.

Falls die EZA wie vorgeschlagen die Hälfte der Mehrkosten für den Armeeausbau ( 2 Milliarden Franken) übernehmen müsste, werden ihr pro Jahr anstatt die vom Bundesrat beantragten 2.6 Milliarden noch 2.1 Milliarden Franken zur Verfügung stehen. Das ist eine Kürzung um weitere 20%. Für die EZA im Globalen Süden ist sie umso dramatischer, als bereits die Ukraine-Hilfe in der Höhe von 1.5 Milliarden Franken per 2025-2028 auf deren Kosten gegenfinanziert wird.

Von den beiden Räten hängt es nun ab, welche Finanzierungsvariante schliesslich obsiegen wird. Alternativen zur Plünderung der bislang international hoch angesehenen Schweizer Entwicklungszusammenarbeit und deren Degradierung zur Bedeutungslosigkeit gäbe es durchaus.

 

 

#Nachhaltige Entwicklung #Sicherheit

Der Autor

Werner Thut war bis Juni 2024 stellvertretender Regionaldirektor des Schweizer EZA-Programms im Südkaukasus und verantwortlich für das DEZA-Programm in Armenien. .

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