Die weltweite Corona-Pandemie zieht gewichtige aussenpolitische Konsequenzen nach sich: Einerseits hat sie noch nicht überschaubare Auswirkungen auf die geopolitischen Mächteverhältnisse, andererseits können Nationalisierungs-Tendenzen Auftrieb gewinnen. Der teilweise grotesken Behördenbürokratie an den Grenzen ist ein Riegel zu schieben. Schliesslich gilt es zu verhindern, dass die ohnehin Schwächsten in dieser Krise am stärksten leiden.
Das aus China stammende neuartige Corona-Virus hat die Welt in mehrfacher Hinsicht erschüttert – medizinisch und wirtschaftlich, aber auch geopolitisch und sozial.
Viele Länder waren auf eine Pandemie dieses Ausmasses nicht vorbereitet – auch die Schweiz nicht. Wir kannten zwar aus jüngerer Zeit SARS, die Schweinegrippe oder Ebola, doch diese Viren hatten nie derart weitreichende Ansteckungsketten rund um den Globus zur Folge.
Obwohl die Covid-19-Pandemie ein globales Phänomen ist, das zu seiner Bekämpfung eine intensivierte internationale Zusammenarbeit bedarf, reagierte jedes Land in seiner eigenen Weise und nach seinen Möglichkeiten. Es lässt sich denn auch erst im Nachhinein feststellen, welche Rezepte am effektivsten gewirkt haben.
Die globalen Kräfteverhältnisse können, aber müssen sich nicht zwingend verschieben durch diese Pandemie. China als Ursprungsland des Virus übt sich mit seinen autokratischen Mitteln des real existierenden elektronischen Überwachungsstaats in der Pandemie-Bekämpfung und galt mit seinen rigorosen Lock-down-Massnahmen und strikten Ausgangsverboten für viele später betroffene Länder als Vorbild.
In den USA redete Präsident Donald Trump die Gefahr des Virus vorab klein, bis er sich mit der Katastrophe in seiner Heimatstadt New York konfrontiert sah und fortan wegen der ausufernden negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen um seine Wiederwahl fürchten muss. Ein solches Risiko hat Chinas Staatspräsident Xi Jinping schon 2018 ausgeschlossen, indem er damals die geltende Amtszeit des Präsidenten aufheben liess, um sich die Macht als Staatspräsident auf Lebenszeit zu sichern.
In Russland hat der ebenfalls autokratische Herrscher Valdimir Putin seinem Volk zunächst ausufernde Zwangsferien verordnet. Eine abflachende Ansteckungskurve lässt sich aber nicht feststellen, Russland rangiert mittlerweile an der europäischen «Spitze» bei der Anzahl von Neuinfektionen. Eine Lockerung der Ausgangssperre verkündet Vladimir Putin dennoch, um die negativen wirtschaftlichen Folgen einzudämmen.
Die Reaktionen in Europa auf COVID-19 wurden vorab durch die dramatische Situation in Norditalien bestimmt. Grenzschliessungen wie sie der Kontinent seit dem 2. Weltkrieg nicht mehr gekannt hat waren unter anderem die Folge. Zunächst folgten UK, die Niederlande und Schweden der Idee der «Herdenimmunität», wobei dieses Konzept aufgrund der gesundheitlichen Kollateralschäden in ersteren beiden Ländern rasch aufgegeben wurde. Wohin sich der schwedische Weg weisen wird, muss die Zukunft noch zeigen.
Auf Europa ist Verlass
Die EU-Kommission ist zwar rechtlich für die Pandemiebekämpfung nicht zuständig, hat aber für die Schweiz auf Intervention des Bundesrats einen wichtigen Dienst geleistet, so dass blockierte Schutzmateriallieferungen in den Nachbarstaaten schliesslich zeitnah ihren Weg in die Schweiz fanden.
Feststellbar ist sicherlich, dass die Schweiz aufgrund einiger drastischer Infektionsherde in unmittelbarer Nachbarschafft (Norditalien, Elsass und Genfersee-Region sowie Ischgl) sich ebenso zu Grenzschliessungen veranlasst sah (wobei Österreich uns dahingehend zuvorkam – so viel zur «Souveränität» bei der Lösungsfindung einer internationalen Krise).
Trotz allen durch die globale Pandemie verbreiteten Reflexen des Rückzugs hinter die eigene Landesgrenze und dem bereits durch nationalistische Kräfte angestimmten Abgesang auf die EU: Auf die europäische Zusammenarbeit sind alle Länder weiterhin angewiesen, genauso wie auf die Wiederherstellung und das Funktionieren der Personenfreizügigkeit. Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat das mit der Zustimmung zu der von mir eingereichten Kommissionsmotion bekräftigt und den Bundesrat erfreulicherweise dazu bewogen, endlich einen konkreten Öffnungsfahrplan für die Grenzen vorzulegen.
Mit der übereinstimmenden Willensbekundung von vier Innenmistern unserer Nachbarländer ist zwar ein erster Schritt realisiert, doch es ist nach wie vor höchst unverständlich und geradezu grotesk, dass getrennte binationale Paare im 21. Jahrhundert dem Staat (respektive Zoll oder Grenzwacht) nachweisen müssen, dass sie in einer «gefestigten Partnerschaft» leben, um ihre/n Liebste/n zu sehen zu können. Die Schweiz – ein Gefängnis? Man erinnert sich heute wieder an Friedrich Dürrenmatts Laudatio für Vaclav Havel aus dem Jahr 1990 zurück.
Internationale Solidarität
Schliesslich gilt es aber die vulnerabelsten Personen dieser Krise nicht zu vergessen und dementsprechend zu unterstützen. Die UNO lancierte zusammen mit ihren Unterorganisationen einen Appell für $ 2.01 Mrd. und das IKRK sowie die Rotkreuz-Organisationen für $ 800 Mio.
Deshalb haben die Aussenpolitische Kommission und der Nationalrat eine Aufstockung der humanitären Hilfe um CHF 100 Mio. beschlossen, die vom Bundesrat in sein initiiertes internationales Hilfspaket von CHF 400 Mio. integriert werden kann.
Diese Krise wird die Welt geopolitisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verändern. Wir sind deshalb alle gefordert, unsere Solidarität gegenüber unseren Nächsten zu leben und sie gleichzeitig zu allen weltweit offen zu halten, die in diesen schwierigen Zeiten unsere Unterstützung dringend benötigen.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)
Livre (F), Book (E), Buch (D)
Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.
Infoletter «Schweiz im Sicherheitsrat» abonnieren Alle Berichte FAQ – Schweiz im Sicherheitsrat