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UNO-Steuerkonvention: Süden in der Offensive

Bei der UNO haben die Verhandlungen über die zukünftige Ausgestaltung der Rahmenkonvention für die internationale Zusammenarbeit in Steuersachen begonnen. Die afrikanischen Länder zeigen Stärke, der Globale Süden bringt so viel seiner Anliegen durch wie noch nie.

Die UNO ist nicht die allerbeste PR-Agentur ihrer selbst, schon gar nicht, wenn es um Steuerpolitik geht. Und so bemerkte die Weltöffentlichkeit Ende April kaum, dass sich im Innern des UNO-Hauptquartiers am East River in New York Historisches abspielte: Zum ersten Mal in der Geschichte kamen dort die Regierungen der 196 UNO-Mitgliedsstaaten zusammen, um über die zukünftige Ausgestaltung der UNO-Rahmenkonvention für Steuern zu verhandeln, deren Ausarbeitung die Generalversammlung im letzten Dezember beschlossen hatte. Wichtigste Treiberin des Prozesses ist die Gruppe der afrikanischen Staaten bei der UNO, die sogenannte «Afrika-Gruppe». Noch nie kamen die Länder des Globalen Südens (G77) mit ihren steuerpolitischen Anliegen in der UNO so weit wie im letzten halben Jahr.

Im August dieses Jahres geht es nun darum, das organisatorische und inhaltliche Gerüst der Steuerkonvention zu bauen, also die sogenannten Terms of Reference zu verhandeln. Segnet die Generalversammlung diese im September ab, kann danach die Konvention selbst mit ihren detaillierten Inhalten ausgearbeitet werden. Auf dieser Basis wiederum können dann rechtlich bindende Steuerreformen ausgearbeitet werden, die von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden müssten. Den Ländern des Globalen Südens und der globalen Steuergerechtigkeitsbewegung bietet sich also die einmalige Chance, die OECD-Vorherrschaft in der internationalen Steuerpolitik zu beenden und die UNO zur zentralen Akteurin zu machen und damit die organisatorischen Voraussetzungen für eine gerechtere multilaterale Steuerpolitik zu schaffen.

Das Dilemma des Nordens

Ähnliche Versuche, die steuerpolitische Dominanz der reichen Staaten des Nordens zu beenden, gab es in den letzten 60 Jahren immer wieder. Die Aussichten sind heute vor allem aus zwei Gründen besser denn je:

Im April traten die Verterinnen und Vertreter des Globalen Südens in den Verhandlungen denn auch entsprechend selbstbewusst auf und warfen ihre Forderungen konsequent und fundiert in die Runde. Sie decken folgende Teilbereiche der internationalen Steuerpolitik ab: verschiedene Aspekte der Unternehmensbesteuerung, die Bekämpfung unlauterer Finanzflüsse, die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, Umwelt- und Klimasteuern, die Besteuerung hoher Vermögen, Fragen des Informationsaustausches und der Steuertransparenz sowie Steueranreize (Tax Incentives). Seit Anfang Juni liegt der erste schriftliche Entwurf für die grundsätzliche Verfasstheit der Konvention (Terms of Reference) vor. Er berücksichtigt die Forderungen der G77 in fast allen Punkten und ist die Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde.

Schweiz schwimmt ambitionslos mit

Die Offensive des Südens bringt die OECD-Länder in eine knifflige Lage: Einerseits möchten sie so wenig Themen wie möglich in die UNO verlagern, die bisher im Rahmen der OECD und mit ihr verwandten Foren verhandelt wurden, weil sie selbst zu den Profiteuren der bisherigen Reformen gehören. Das gilt bekanntlich auch für die Schweiz. Mittlerweile schwimmt sie im UNO-Prozess relativ ambitionslos einfach mit den OECD-Ländern mit. Zu Beginn des Prozesses hat sich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) noch erhofft, gar nicht erst an den Verhandlungen teilnehmen zu müssen, weil man den Prozess grundsätzlich für eine Farce hielt. Das war offensichtlich eine Fehleinschätzung. Wenn die OECD-Fraktion den UNO-Prozess durch ihr Festhalten an der OECD als massgebendes Forum für globale Steuerfragen aufzuhalten versucht, stösst sie die Länder des Südens auf multilateraler Ebene einmal mehr vor den Kopf. Angesichts der derzeitigen geopolitischen Grosskonflikte mit Russland und China kann sich das «der Westen» eigentlich nicht mehr leisten. Schliesslich hat niemand ein Interesse daran, dass mit Afrika der grösste Kontinent ins geopolitische Lager Russlands und Chinas wechselt.

So verstecken sich die OECD-Länder in den UNO-Steuerverhandlungen hinter ihrem vermeintlichen Allheilmittel namens Capacity Building (Stärkung der staatlichen Besteuerungs-Fähigkeiten) . Man sei gerne bereit, die Steuerbehörden im Globalen Süden mit mehr Know-how und Geld zu unterstützen, damit sie ihre Steuerflüchtigen zu fassen kriegen, heisst es. Darauf hatte Everlyn Muendo vom Tax Justice Network Africa (TJNA) im Konferenzraum 3 – im Gegensatz zur OECD sitzt die Zivilgesellschaft bei der UNO auch im Verhandlungsraum und kann dort das Wort ergreifen – eine treffende Antwort: «Mit capacity building allein schaffen wir es nicht, das Ungleichgewicht in den Besteuerungsrechten zwischen entwickelten und Entwicklungsländern und die unfairen internationalen Steuersysteme aufzuheben».

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*Dominik Gross ist Experte für Internationale Finanz- und Steuerpolitik bei Alliance Sud, dem «Schweizer Kompetenzzentrum für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik.» Der Artikel erschien in global+, dem Magazin der Organisation.

 

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