Der Bundesrat plädiert im «Erläuternden Bericht zur internationalen Zusammenarbeit 2021 – 2024» für eine Kehrtwendung zu «Switzerland first statt Sustainability first». Er verpasst damit eine grosse Chance, um mit der Internationalen Zusammenarbeit (IZA) die Nachhaltigkeitswende zu fördern.
Im «Erläuternden Bericht zur internationalen Zusammenarbeit, 2021-24» setzt der Bundesrat die Schwerpunkte auf die Bekämpfung von Migration und Klimawandel, die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und ein Engagement für Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Von den eingesetzten Mitteln soll insbesondere die Schweiz profitieren. Nur knapp erwähnt werden im Bericht die 2015 von der UNO verabschiedeten 17 Nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals – SDGs) der Agenda 2030.
Das ist erstaunlich. Denn mit dem Entscheid von 2015 gelang ein historischer Erfolg. Im gleichen Jahr wurde auch der Pariser Klimavertrag verabschiedet. Beide Vereinbarungen legen ehrgeizige globale Ziele fest. In wohlhabenden wie in armen Ländern braucht es eine sozial-ökologische Neuausrichtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, wenn die Umsetzung gelingen soll. Eine an internationaler Fairness orientierte IZA soll Innovationen inspirieren und Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit lenken.
Doch der «Erläuternde Bericht» argumentiert für einen Alleingang der Schweiz ausserhalb des internationalen Konsens. Das einzigartige Modernisierungs-, Gerechtigkeits- und Friedensprojekt der Agenda 2030 mit erheblichen aussen- und entwicklungspolitischen sowie wirtschaftlichen Chancen wird nicht erkannt.
Die Suche nach klimaverträglichen Entwicklungspfaden ist nunmehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Damit eröffnen sich Möglichkeiten, den Übergang zu einer klimaverträglichen und nachhaltigen Wirtschaftsweise zu beschleunigen. Zumindest fünf Gründe sprechen für eine weitsichtig angelegte Politik, um die Nachhaltigkeitswende (z.B. Energie, Landnutzung, Urbanisierung) mit IZA-Massnahmen voranzubringen:
Der «Erläuternde Bericht» weist Lücken und Versäumnisse auf. Als Entwicklungsfaktoren bleiben drastische Umweltveränderungen (Bodenverlust, beschleunigte Urbanisierung, Verlust von Biodiversität, Verschiebung von Klimazonen) ausgespart. Kooperationsinhalte sind auf kurzfristige Opportunitäten und migrationspolitische Interessen beschränkt. Die angestrebte verstärkte Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft bleibt ohne Bezug zur Nachhaltigkeitspolitik. Es fehlen Ausführungen über strategische Partnerschaften (bilateral, multilateral), um Massnahmen mit grosser Hebelwirkung zu unterstützen. Länder- und Themen-Schwerpunkte vermitteln den Eindruck des «weiter-so-wie-bisher». Der DEZA-Ausstieg in Lateinamerika wird mit buchhalterischen Argumenten begründet. Die Verantwortlichkeiten anderer Politikbereiche für eine erfolgreiche Umsetzung der Agenda 2030 bleiben ausgespart. Eine auf «Switzerland first» ausgerichtete IZA unterläuft schliesslich auch das Ziel des Entwicklungshilfe-Gesetzes2.
Für ein Land, das jeden zweiten Franken im Ausland erwirtschaftet, ist «Trittbrettfahren» keine zukunftsfähige Option. Nationales und globales Gemeinwohl sind über die globalen Güter Klima und Biodiversität untrennbar miteinander verbunden. Es liegt deshalb im Interesse der Schweiz, zum Gelingen der Agenda 2030 und des Pariser Klimavertrages beizutragen.
*Martin Fässler, unabhängiger Spezialist für Fragen zu Nachhaltigkeit und Entwicklung, ehemaliger Stabschef und Mitglied der Direktion der DEZA.
1) Bertelsmann Stiftung & Sustainable Development Solutions Network (Hrsg.), Sustainable Development Report 2019, Transformations to achieve the Sustainable Development Goals
2) «Die Entwicklungszusammenarbeit unterstützt die Entwicklungsländer im Bestreben, die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern. Sie soll dazu beitragen, dass diese Länder ihre Entwicklung aus eigener Kraft vorantreiben. Langfristig erstrebt sie besser ausgewogene Verhältnisse in der Völkergemeinschaft.» (EHG, Art. 5, Absatz 1)
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 469, Januar 2025, stehen die Flüchtlinge aus Myanmar nach Thailand, Indien und Malaysia im Fokus. Der Konflikt destabilisiert die Region, da die Nachbarländer durch überfüllte Flüchtlingslager und fehlende Ressourcen belastet sind. Nr. 469 | 14.01.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.