Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 49-2024

Sanktionen: Mit 15:0 Stimmen hat der Rat eine von der Schweiz und den USA eingebrachte Resolution für eine “humanitäre Ausnahme” bei UNO-Sanktionen angenommen. Betroffen ist das gegen die Akteure und Unterstützer der islamistischen Da’esh/Al Kaida verhängte Sanktionsregime. Unter «rigoroser Überwachung» (so die Schweiz) wird humanitären Organisationen ermöglicht, trotz der UNO-Boykotte Hilfe zu leisten und so «die unbeabsichtigten Konsequenzen von Sanktionen zu mildern», wie die Schweiz vor der Abstimmung erklärte. Die Ausnahme wurde erstmals vor zwei Jahren eingeführt. Die jetzt beschlossene Resolution ist eine Verlängerung.

Syrien: Der abrupte Szenenwechsel mit dem Vormarsch der Rebellen-Koalition al-Fateh al-Mubeen Joint Operations Room in Syrien hat im Rat einen Austausch gegenseitiger Anschuldigungen provoziert. Der UNO-Sondergesandte, seit Monaten bemüht, inner-syrische Verhandlungen zwischen der Regierung und den verschiedenen Rebellengruppierungen in Gang zu bringen, beschränkte sich auf Allgemeines: «dramatische Verschiebung», «radikale Veränderung des Status Quo», «die Lage ist im Flux». Er rief zu «Deeskalation» und Ruhe auf. Gegen den Widerstand von Russland und China wurde beschlossen, den Chef der in den nicht von der Regierung kontrollierten Gebieten aktiven Hilfsorganisation White Helmets auftreten zu lassen. Dieser prangerte die Vergeltungsschläge der Regierung und ihrer russischen und iranischen Verbündeten an. Russland und China unterstrichen, die angreifenden Rebellen seien «internationale Terroristen», die von den USA unterstützt würden. Die USA beteuerten, mit den jüngsten Aktionen «nichts zu tun» zu haben. Sie räumten ein, Hay’at Tahrir al-Sham, die führende Organisation der angreifenden Rebellen, stehe auf der Terror-Liste der UNO, gaben aber zu bedenken, dies rechtfertige keine «Gräuel des Assad-Regimes und seiner russischen Helfer». Die Schweiz warnte vor den humanitären Konsequenzen der intensivierten Kämpfe. Sie forderte die Aufrechterhaltung der Grenzöffnungen zwischen Syrien und der Türkei für humanitäre Hilfe und die ausreichende finanzielle Ausstattung derselben.

Chemiewaffen in Syrien: Eine weitere Runde von Konsultationen zwischen Syrien und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) – die achtundzwanzigste – hat keine neuen Befunde erbracht. Syrien, das sich verpflichtet hat, vorhandene C-Waffen-Arsenale zu vernichten und keine neuen herzustellen, behauptet, alle Auflagen erfüllt zu haben. Die OPCW-Inspekteure sagen, in über zwei Dutzend Punkten sei dies nicht der Fall – neuerdings auch, was die Wiederbeschaffung betreffe. In der Debatte erinnerte Slowenien daran, dass im derzeit wieder umkämpften Aleppo Chemiewaffen eingesetzt wurden. Die Schweiz sprach der OPCW ihr Vertrauen aus. Sie forderte «verifizierbare und wissenschaftlich haltbare» Untersuchungsergebnisse. Schuldige müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Irak: Aus dem Schlamassel des Mittleren Ostens – Palästina, Libanon, Jemen, Syrien – ragt der Irak als Zeichen von Zuversicht und Hoffnung. Das Land sei «nicht mehr der Irak von vor zwanzig oder auch nur fünf Jahren», erklärte der der UNO-Mission UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq). Als Belege führte er die Wahlen in der autonomen Region Kurdistan, die erste erfolgreich abgeschlossene Volkszählung seit über dreissig Jahren (Ergebnis: Verdoppelung auf 45 Millionen Menschen) und den Willen der Regierung an, sich aus dem regionalisierten israelisch-palästinensischen Konflikt herauszuhalten. Als Schwachstellen benannte er «hartnäckige und systemische Korruption» sowie den ungelösten Verbleib von kuwaitischen Vermissten aus dem ersten Golfkrieg. UNAMI soll bis Ende 2025 abgewickelt werden, ein Plan dazu soll bis Ende dieses Jahres vorliegen. Die Schweiz legte einen Schwerpunkt auf die weitere «ökonomische und demokratische» Entwicklung des Landes. Unter Berufung auf den neuen UNO-Zukunftspakt forderte sie, künftige «Friedensoperationen» im Irak mit «politischen Strategien» zu untermauern. Dazu gehöre der Minderheitenschutz und der Respekt vor den international vereinbarten Menschenrechten. Das war auf ein irakisches Gesetzesprojekt gemünzt, dem mehrere Ratsmitglieder vorwarfen, Kinderheiraten zu erlauben und den Status geschiedener Frauen zu schwächen. Was die militärischen Auseinandersetzungen in der Region betrifft, betonte die Schweiz, «Souveränität und Integrität» des Irak seien durchgehend zu respektieren, und das Land müsse «vollständige Kontrolle über die Ausübung von Gewalt auf seinem Territorium» haben. Die Vereinigten Staaten sind im Irak militärisch gegen den «Islamischen Staat» aktiv, und Israel verletzt irakischen Luftraum bei Angriffen auf iranische Stellungen.

Ukraine: Das Schicksal der ukrainischen Kinder war Gegenstand einer Debatte, die sich neben dem oft wiederholten Gemeinplatz – Krieg bringt das Leben von Kindern dauerhaft durcheinander – vor allem um russische Verschleppungen und “Umerziehungs”-Massnahmen drehte. Ein Vertreter der amerikanischen Yale-Universität berichtete dem Rat über eine auf Satellitendaten und öffentlich zugängliche Information gestützte Forschung, die 314 Kinder identifiziert hat, welche im Rahmen eines «systematischen, vom Kreml geleiteten Programms erzwungener Adoption und Pflegekinderschaft» aus der Ukraine nach Russland verschleppt worden sind. Eine ukrainische Expertin sprach von 19000, der Vertreter der Ukraine von 20000 verschleppten Kindern. Russland erklärte, es gehe um erleichterte Adoptionen aus humanitären Gründen. Grossbritannien nannte die Vorgänge «systematische Auslöschung der ukrainischen Kultur». Das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF ging nur in allgemeinster Form auf das Thema ein («tief besorgt über die Anzahl Kinder, die von ihren Familien getrennt wurden»). Die Schweiz zeigte sich ebenfalls profondément inquiétée par les déportations et transferts illégaux d’enfants ukrainiens. Sie verwies auf die Unabhängige Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrats. Diese spricht im Pressecommuniquim Pressecommuniqué von der «erzwungenen Deportation von Kindern» als russischem Kriegsverbrechen, äussert sich jedoch in ihrem jüngsten Bericht vom Oktober nicht zum Thema.

Libanon: Hinter geschlossenen Türen hat sich der Rat mit dem prekären Waffenstillstand zwischen Israel und Hisbollah in Libanon befasst.

Frauen, Frieden, Sicherheit: In einer von den USA beantragten Debatte zur Sicherheitsratsresolution 1325 («Frieden, Frauen, Sicherheit») wurden bekannte Bekenntnisse zur Umsetzung ihrer Ziele vorgetragen. Die Resolution verlangt den gleichberechtigten Einbezug von betroffenen Frauen in Friedensprozessen und Vermittlungen. Während Russland Haare in der Suppe fand (zu wenig Rücksicht auf «kulturelle Besonderheiten», zu viel Einfluss von «Interessen von Geldgebern und aussenstehenden Akteuren»), strich die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten ihre eigenen Leistungen hervor, meist verbunden mit der Finanzierung von Projekten. Die Schweiz, mit Sierra Leone Ko-Vorsitzende der «informellen Expertengruppe» zum Thema, machte keine Ausnahme. Sie teilte mit, dass die Gruppe in den vergangenen zwei Jahren 16 Sitzungen veranstaltet und auch eine Reise nach Süd-Sudan durchgeführt habe. Während ihrer beiden Ratspräsidentschaften habe sie 20 zivilgesellschaftliche Vertreterinnen – Geschlechterparität – auftreten lassen, und im Juli habe sie «Netzwerke von Mediatorinnen» zum Erfahrungsaustausch eingeladen. Sie habe auch ein Buch, Letters to a young mediator, publiziert. Die Schweiz wies darauf hin, dass der Rat mit une dizaine de resolutions längst einen normativen Rahmen geschaffen habe. Diesen gelte es auf allen Ebenen umzusetzen. Erneut forderte die Schweiz eine Verzahnung der Ratstätigkeit mit den Arbeiten der UNO-Frauenrechtskommission CEDAW (Committee on the Elimination of Discrimination against Women). Elf jetzige und drei künftige Ratsmitglieder traten mit einer gemeinsamen Erklärung für die Umsetzung von «1325» vor das UNO-Mikrophon. Nicht dabei waren Russland, China, Mosambik und Algerien.

Behinderte im Krieg: Slowenien und Guyana haben eine informelle Sitzung über die besondere Schutzbedürftigkeit und den Schutz von behinderten Personen im Krieg veranstaltet. Die Schweiz erklärte, die Ziele der UNO-Behindertenkonvention und des humanitären Völkerrechts seien dieselben. Unter Berufung auf einen von ihr finanzierten Bericht sagte sie, jenes Recht sei rarement adaptée aux personnes handicapées.

Schweizer Erklärungen:

• Sanktionen
• Syrien
• Syrien Chemiewaffen
• Irak
• Ukraine
• Frauen, Frieden, Sicherheit
• Frauen, Frieden, Sicherheit gemeinsame Erklärung
• Behinderte im Krieg

 

 

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Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 469, Januar 2025,  stehen die Flüchtlinge aus Myanmar nach Thailand, Indien und Malaysia im Fokus. Der Konflikt destabilisiert die Region, da die Nachbarländer durch überfüllte Flüchtlingslager und fehlende Ressourcen belastet sind.            Nr. 469 | 14.01.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.