Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat KW 35/2024

Themen der Woche: Genfer Konventionen, Reform des Sicherheitsrates, Libanon, Syrien, Ukraine, Gaza, Nordkorea:

Genfer Konventionen: Anlässlich des 75. Jahrestags der Genfer Konventionen lud die Schweiz die Ratsmitglieder nach Genf ein. Die vier Genfer Konventionen von 1949 und ihre Zusatzprotokolle enthalten Regeln zum Schutz von Zivilisten und Personen, die nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen können, wie verwundete und kranke Soldaten sowie Kriegsgefangene. Ziel des informellen Besuchs war es, den Ratsmitgliedern die Gelegenheit zu geben, die fortwährende Bedeutung des internationalen humanitären Rechts zu bekräftigen. Russland blieb als einziges Ratsmitglied Genf fern.

Reform des Sicherheitsrates: Die Generalversammlung hat sich im Konsens dafür ausgesprochen, der Debatte rund um eine Reform des Rates «neues Leben einzuhauchen». Der Sicherheitsrat repräsentiert schon lange nicht mehr die politische Landschaft und diesem Umstand soll mit gerechterer Repräsentation und erhöhter Mitgliederzahl begegnet werden. Dazu sollen die zwischenstaatlichen Verhandlungen zu diesem Thema in der informellen Plenarsitzung der Generalversammlung fortgesetzt und — sofern die Mitgliedstaaten dies beschliessen — eine offene Arbeitsgruppe einberufen werden. In der Diskussion betonten mehrere Redner die Wichtigkeit, beide Formen der Mitgliedschaft (permanent und nicht permanent) im Rat zu erweitern und bedauerten, dass sich die Diskussionen um eine Reform so lange hinziehen.

Libanon: Der Rat hat das Mandat der UNIFIL (United Nations Interim Force in Lebanon) einstimmig um ein Jahr verlängert. Mehrere Mitgliedsstaaten äusserten Besorgnis über die zunehmenden Feuergefechte entlang und jenseits der «Blauen Linie» (Demarkationslinie im Südlibanon zwischen Israel, Libanon und den von Israel annektierten syrischen Golanhöhen), betonten die Unterstützung für UNIFIL und forderten Zurückhaltung und Deeskalation. Die Schweiz forderte eine vollständige Einstellung der Feindseligkeiten auf beiden Seiten der Blauen Linie und eine sofortige Wiederverpflichtung der Parteien zur Umsetzung aller Bestimmungen der geltenden Resolution.

Syrien: Der UNO-Sondergesandte für Syrien unterrichtete den Rat über die Spannungen im Land, die ein gefährlich hohes Niveau erreicht haben. Zu begrüssen ist, dass Syrien die Verlängerung der humanitären Grenzübergänge in Bab al-Salam und al-Ra’ee genehmigt hat. Diese ist auch bitter nötig, denn wie die Untergeneralsekretärin von OCHA warnte, bleibt die Versorgungslage katastrophal. Dennoch wurden bisher weniger als 1 Milliarde US-Dollar der für 2024 versprochenen 4.1 Milliarden US-Dollar für humanitäre Hilfe bereitgestellt. Sollten bis September keine weiteren Mittel eingehen, könnten fast 200 Lager von Wasser- und Sanitäreinrichtungen abgeschnitten werden. In der anschliessenden Diskussion betonten die Ratsmitglieder die Notwendigkeit einer nachhaltigen politischen Lösung und humanitärer Hilfe. Die USA erklärten, dass sie die Sanktionen so lange aufrechterhalten werden, bis konkrete, messbare Fortschritte in Richtung einer politischen Lösung erzielt werden. Russland und China kritisierten die Sanktionen. Die Schweiz sprach sich für einen landesweiten Waffenstillstand und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen aus.

Ukraine: Der zuständige UNO-Beamte hob die sich verschärfende humanitäre Krise hervor, wobei der Juli 2024 mit 219 Toten und 1’018 Verletzten als der tödlichste Monat für ukrainische Zivilisten seit Oktober 2022 galt. Nachdem Überreste einer Drohne auf dem Gelände des Atomkraftwerks Saporischschja gefunden wurden, wurden die Kriegsparteien aufgefordert, sich in „äusserster Wachsamkeit“ zu üben, um eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Zahlreiche Delegierte – darunter auch die Schweiz – verurteilten Angriffe auf die Zivilbevölkerung und Infrastruktur als klare Verstösse gegen das internationale humanitäre Völkerrecht und forderten Rechenschaftspflicht und Friedensverhandlungen.

Tage später fand eine zweite Sitzung statt, die von Russland einberufen wurde und erneut das Thema ausländischer Waffenlieferungen behandelte. Der zuständige UNO-Beamte betonte, dass alle Waffenlieferungen an die Ukraine im Einklang mit dem Völkerrecht stehen müssen und warnte vor Angriffen auf Zivilisten. Während Russland die westlichen Waffenlieferungen anprangerte, kritisierten die USA und ihre Verbündete die sanktionsverletzenden Waffenlieferungen aus dem Iran, Nordkorea und China an Russland. Die Schweiz stellte fest, dass es inakzeptabel ist, dass die Zivilbevölkerung den Preis des Krieges tragen muss, und wies auf die Einhaltung der UNO-Charta und der Genfer Konventionen hin, die darauf abzielen, die Schrecken des Krieges zu mildern.

Gaza: Die Schweiz und Grossbritannien haben angesichts der sich verschärfenden humanitären Lage eine Sitzung einberufen. Nach 25 Jahren ohne Polio ist kürzlich ein zehn Monate altes Kind daran verstorben, das aufgrund des Krieges nie geimpft werden konnte. Laut dem WHO-Vertreter soll am 1. September eine zweistufige Polio-Impfkampagne beginnen, die 640’000 Kinder unter zehn Jahren erreichen soll. Dafür sind gebietsbezogene humanitäre Pausen vorgesehen, um sowohl die Zivilbevölkerung als auch das humanitäre Personal zu schützen. Eine Vertreterin von OCHA betonte, dass Israel die Einfuhr der Impfstoffe ermöglicht hat und es nun wichtig ist, Zugang und Sicherheit der Impfkampagne zu gewährleisten. Die Ratsmitglieder drängten auf den Schutz des humanitären Personals sowie der UNO-Hilfsfahrzeuge. Zudem bedauerten die Mitglieder die zahlreichen israelischen Evakuierungsbefehle, die die humanitäre Arbeit erschweren und den verfügbaren Raum stark einschränken. Rund 90 % der Bevölkerung wurde vertrieben und lebt nun auf weniger als 11 % des eigentlichen Gebiets, wodurch die Bevölkerungsdichte in den verbliebenen Gebieten auf 40’000 Personen pro Quadratkilometer angestiegen ist.

Nordkorea: Der von der Schweiz präsidierte Sanktionsausschuss hat sich in geschlossener Sitzung getroffen, um sich über den 90-Tage-Bericht zur Arbeit des Ausschusses zu informieren.

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Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 461, September 2024, steht Algeriens Beitritt zur Neuen Entwicklungsbank (NDB) der BRICS-Staaten im Fokus. Der Schritt stärkt nicht nur Algeriens wirtschaftliche Position als wichtiger Öl- und Gasexporteur, sondern hat auch geopolitische Bedeutung im internationalen Machtgefüge.

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