Wochenrückblick

Schweiz im Sicherheitsrat / KW 28-2024

Jemen: Der Rat hat das  Mandat der UNMHA-Mission einstimmig verlängert. UNMHA (UN Mission to Support the Hodeidah Agreement) unterstützt die Offenhaltung der kommerziellen und humanitären Zugänge in den jemenitischen Häfen Hodeidah, Salif and Ras Issa. Grundlage ist ein 2019 in Schweden geschlossenes Abkommen zwischen der jemenitischen Regierung und den Huthi-Rebellen, welche die Häfen blockiert und damit  die Versorgungsnot im Land verschärft hatten. Die Angriffe der Huthi auf die Schifffahrt im Roten Meer sind ausgeklammert.

Ukraine: Der Rat hat sich mit der jüngsten Welle russischer Angriffe auf ukrainische Zivilanlagen befasst, darunter als prominenteste die Verwüstung eines Kinderspitals in Kiew. Die Vertreterin des UNO-Nothilfebüros sagte, in der gesamten Ukraine sei ein “Muster systematischer Attacken” auf Gesundheitseinrichtungen und andere Infrastrukturen zu beobachten, die insbesondere die Gas-, Strom- und Wasserversorgung beeinträchtigten. Die Weltgesundheitsorganisation habe seit Kriegsbeginn 1878 Angriffe auf Spitäler und andere medizinische Einrichtungen “verifiziert”. Mit Ausnahme Russlands drückten alle Ratsmitglieder Abscheu und Entsetzen über diese Angriffe aus. Russland erklärte, die Zerstörung des Kiewer Kinderspitals sei von einer fehlgeleiteten ukrainischen Rakete verursacht worden, die einen russischen Raketenangriff auf eine Fabrik abzufangen versucht habe. Der russische Vertreter prahlte: ”Wäre dies ein russischer Schlag gewesen, wäre vom Gebäude nichts übrig und wären alle Kinder tot und nicht verwundert”. Sierra Leone regte an, den Fall unabhängig zu untersuchen. Mehrere Staaten – auch die Schweiz – verwiesen darauf, dass gezielte Angriffe auf medizinische Einrichtungen ein Kriegsverbrechen sind. Einige forderten, die Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft zu ziehen. Die Schweiz wiederholte die Forderung nach einem russischen Abzug aus der Ukraine und einer Friedenslösung gemäss UNO-Charta. Sie wolle dazu “alles in unser Macht Stehende” tun und versuche weiterhin, “konkrete Massnahmen zu inspirieren”, wie es die Bürgenstock-Konferenz von Mitte Juni bezweckt habe.

Kongo DRC: Im Osten des Landes rückt die von Rwanda unterstützte M23-Bewegung vor, während die Blauhelmtruppe MONUSCO im Abzug begriffen und eine afrikanische Ersatz-Schutzmacht noch nicht voll etabliert ist. Die MONUSCO-Chefin warnte den Rat vor einem “Sicherheitsvakuum” und einem Übergreifen des Kongokonflikts auf die Region: “Die rasch eskalierende M23-Krise birgt das sehr reale Risiko eines ausgeweiteten regionalen Konflikts”. Der Vertreter der Regierung der Demokratischen Republik Kongo (DRC), die den MONUSCO-Abzug wünscht, erklärte, dessen nächste Etappe sei von der Sicherheitslage abhängig. Er griff Rwanda als Kriegstreiber an und beschuldigte den Rat, die Augen zu verschliessen. Rwanda, das bei früheren Gelegenheiten eine Verwicklung in die kongolesischen Kämpfe abzustreiten pflegte, rechtfertigte diese nun damit, dass rwandischsprachige Minderheiten im Osten Kongos diskriminiert würden und geschützt werden müssten. Die Regierungsarmee FARDC (Forces armées de la république démocratie du Congo) arbeite mit Gruppen zusammen, die “ethnische Säuberung” betrieben. Die Schweiz forderte einen politischen Dialog zwischen Kongo und Rwanda auf höchster Ebene und erklärte notre disponibilité à soutenir les efforts diplomatiques et les discussions de paix.

 

Kolumbien: Die Amtszeit von Präsident Petro Urrego, der den “totalen Frieden” mit allen Guerillagruppen im Lande versucht, ist zur Hälfte vorbei, und die Erfolge werden rarer. Es gibt weiterhin Gewalt gegen ehemalige Guerilleros der Gruppe FARC-EP, die vor acht Jahren ein Friedensabkommen mit der Regierung geschlossen hat, die Bemühungen, ausserhalb stehende Rebellengruppen einzubinden, treten an Ort, und einzelne Abteilungen im Regierungsapparat stehen auf der Bremse. Bei der Präsentation des vierteljährlichen Berichts des Generalsekretärs nahmen Präsident Petro und ein früherer FARC-EP-Vertreter an der Debatte teil. Sie erklärten dem Rat, die Gewalt sei auf die mehrheitlich von Schwarzen und Ureinwohnern besiedelten Gebiete konzentriert. Der UNO-Berichterstatter nannte die ungleiche Verteilung von Land und die fortbestehende “Unsicherheit” als Haupthindernisse. Die Schweiz, offizielle Begleiterin mehrere Friedensprozesse, versprach, sie wolle die Bemühungen um ein Ende der jahrzehntelangen Guerilla- und Drogenkriege in Kolumbien weiter unterstützen. Im Rat forderte sie insbesondere mehr Zusammenarbeit (meilleure coordination intra-institutionnelle) im kolumbianischen Regierungsapparat.

Sahel: Der Rat hat den halbjährlichen Bericht des Büros für Westafrika und Sahel (UNOWAS – UN Office for West Africa and the Sahel) debattiert. Die Situation bleibt von den Aktivitäten islamistischer Gruppen und einer veränderten politischen Gemengelage dominiert. Mali, Niger und Burkina Faso haben nach Militärputschen eine neue Alliance des Etats du Sahel gebildet und arbeiten militärisch mit dem russischen “Afrikakorps” zusammen. Zwischen Stuhl und Bank ist die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS (Economic Community of West African States), die die Sanktionen gegen die Putschisten aufgehoben hat. Der wichtigste Ansatzpunkt ist der Bericht von UNOWAS, dessen Mandat von der Schweiz und Sierra Leone als penholders ausgehandelt wird. Die Schweiz kündigte an, dass sie während ihrer Ratspräsidentschaft im Oktober eine réflexion approfondie über das Krisengebiet veranstalten werde.

Haiti: Der Rat hat das Mandat der UN-Mission in Haiti (BINUH – Bureau intégré des Nations Unis en Haïti) einstimmig um ein Jahr verlängert. Hauptaufgabe von BINUH ist die Unterstützung der seit dem Frühjahr amtierenden Übergangsregierung bei der Organisation von Wahlen und dem Aufbau eines funktionierenden Staats.  BINUH ist nicht dasselbe wie die von Kenia geführte “multinationale Sicherheitsmission” (MSS – multinational security support) zur Unterstützung der von gangs überranten haitianischen Polizei, die ebenfalls vom Sicherheitsrat autorisiert ist. Von 2500 MSS-Polizisten sind 200 in Haiti eingetroffen. Wie BINUH und MSS zusammenarbeiten, ist in der neuen Resolution nur schwammig formuliert. Mehrere Staaten drückten nach der Abstimmung Zuversicht aus. Die Schweiz äusserte sich nicht.

Zypern: Der Rat erhielt einen Lagebericht des Chefs der seit 1964 stationierten Blauhelmtruppe auf der Insel.

Afghanistan: Die Untergeneralsekretärin für politische Angelegenheiten erstattete Bericht.

Prävention: Auf Einladung Sloweniens befasste sich der Rat in informeller Sitzung mit der Verbesserung von vorbeugenden Massnahmen rundherum: Stepping up Preventive Action: From Environmental Challenges to Opportunities for Peace. Die Schweiz empfahl Handeln auf globaler Ebene und engere Zusammenarbeit zwischen dem Sicherheitsrat und den internationalen Institutionen in Genf. Sie warb für ihren nationalen Beitrag auf dem Feld der Wasserbewirtschaftung (Initiative  Blue Peace).

 

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Espresso Diplomatique

Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 461, September 2024, steht Algeriens Beitritt zur Neuen Entwicklungsbank (NDB) der BRICS-Staaten im Fokus. Der Schritt stärkt nicht nur Algeriens wirtschaftliche Position als wichtiger Öl- und Gasexporteur, sondern hat auch geopolitische Bedeutung im internationalen Machtgefüge.

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Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.

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