Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat 41/2024

Libanon: Die UNO-Truppe UNIFIL (UN Interim Force in Lebanon) , die im Süden Libanons eine 2006 vom Sicherheitsrat angeordnete (und nie befolgte) Sicherheitszone überwacht, gerät in die Feuerlinie der anschwellenden Kämpfe zwischen Hisbullah und der israelischen Armee. Israel fordert UNIFIL auf, sich zurückzuziehen. UNIFIL beharrt auf ihrem Mandat. In der Berichtswoche wurden UNIFIL-Positionen dreimal von Israel beschossen, es gab verletzte Blauhelmsoldaten. Auf Antrag Frankreichs hat der Rat sich mit der Lage befasst. Der für Friedensoperationen zuständige Untergeneralsekretär erklärte, safety and security seiner Truppe seien «zunehmend gefährdet”, aber man bleibe auf Posten. Die Vertreter Israels und Libanons forderten die UNO zu dezidiertem Handeln auf – Libanon mit der Forderung nach einer neuen Libanon-Resolution, um das 2006 vereinbarte Arrangement (Resolution 1701)  durchzusetzen, Israeli mit der Aufforderung, UNIFIL solle den Kampf gegen die illegale Anwesenheit von Hisbullah in der Überwachungszone verstärken. Die Debatte war von der üblichen Betroffenheitslyrik – «tief besorgt», «alarmiert», «am Abgrund taumelnd» – geprägt. Die Schweiz verurteilte den israelischen Beschuss von UNIFIL fermement und stellte sich pleinement hinter den Entscheid, die Positionen der Blauhelme zu halten.

Gaza: Auf Antrag Sloweniens und Algeriens hat der Rat sich mit der humanitären Lage in den von Israel besetzten Gebieten befasst. Im Zentrum stand die Rolle der UNO-Flüchtlingshilfsagentur UNRWA, der von Israel vorgeworfen wird, sich von der Terrororganisation Hamas vereinnahmen zu lassen. Vor dem israelischen Parlament liegt ein Gesetzesentwurf, welcher der Präsenz von UNWRA den Boden unter den Füssen wegzöge. Neben der bereits gewohnten Klage über ständig verschlechterte Versorgungslage und widerrechtliche Behinderungen der humanitären Hilfe erklärte der Chef von UNRWA den Ausgang dieser Auseinandersetzung zum Präzedenzfall: Entweder gelinge es dem Sicherheitsrat, die UNO-Charta und das humanitäre Völkerrecht durchzusetzen, “oder wir müssen uns eingestehen, dass die auf Regeln beruhende internationale Nachkriegsordnung am Ende ist”. Israel machte geltend, dass es humanitärer Hilfe ausserhalb der UNRWA keine Hindernisse in den Weg lege. Zahlreiche Ratsmitglieder – darunter die Schweiz – wiesen darauf hin, dass UNWRA als grösste Hilfsorganisation unabdingbar sei. Die vom UNO-Menschenrechtsrat eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission hat in der Berichtswoche einen Bericht veröffentlicht, der Israel des Kriegsverbrechens beschuldigt: Israel has implemented a concerted policy to destroy the health-care system of Gaza. Israeli security forces have deliberately killed, wounded, arrested, detained, mistreated and tortured medical personnel and targeted medical vehicles, constituting the war crimes of wilful killing and mistreatment and the crime against humanity of extermination.

Libyen: Über ein Jahrzehnt nach dem Sturz des Diktators Ghadafi bleibt das Land zwischen mehreren rivalisierenden politischen Zentren zerklüftet. Die in Aussicht genommenen allgemeinen Wahlen und die Bildung gesamtnationaler Strukturen stehen aus. Menschenrechte werden auf breiter Front verletzt. Eine Vertreterin libyscher Frauen berichtete dem Rat über Angriffe auf Frauen, die ihre Rechte einfordern, in mehreren Fällen mit tödlichem Ausgang. Von der UNO-Mission UNISMIL versuchte Einigungsverhandlungen kommen nicht in Gang. Nichtsdestotrotz stellte die UNISMIL-Vertreterin zwei Entwicklungen in ein positives Licht: Zum einen ist ein Streit um die Führung der Zentralbank, der einzigen Institution, die beiden rivalisierenden “Regierungen” dient, beigelegt. Zum andern hat die nationale Ölgesellschaft die uneingeschränkte Ölförderung wieder aufgenommen. Die Schweiz legte wie schon früher, den Akzent auf die Menschenrechtsverletzungen und verlangte die Freilassung der willkürlich Verhafteten, Rechtssicherheit und Wahlen, die “die Teilnahme der Frauen und aller Minderheiten garantieren”.

Kongo DRC: Alle halben Jahre berichtet der UNO-“Sondergesandte für die Region der Grossen Seen” über den Stand der Dinge im Dauerkonflikt rund um die Demokratische Republik Kongo (DRC). Sein Fazit ist “einerseits-andererseits”. Einerseits bleibt die Sicherheitslage im Osten des Kongo “alarmierend”, weil die von Rwanda unterstützte Bewegung M23 sich ausbreitet, und andere bewaffnete Privatarmeen sich um die Herrschaft über die Bodenschätze bekriegen. Nach Sudan ist Kongo DRC das Land mit der zweitgrössten Anzahl von Vertriebenen auf der Welt. Anderseits hält ein Ende Juni von Angola vermittelter Waffenstillstand zwischen den Armeen von Kongo DRC und Rwanda, und die Diplomatie des “Luanda-Prozesses” ist ein “Bereich der Hoffnung”. Die meisten Ratsmitglieder klopften Angola auf die Schulter und sprachen seinen Bemühungen ihre Unterstützung aus. Die Rolle der UNO-Blauhelmstreitmacht MONUSCO, die auf Wunsch der Regierung in Kinshasa im Abzug begriffen ist, blieb in der Debatte praktisch unerwähnt. Die Schweiz forderte die participation pleine, égale et significative in allen Friedensbemühungen.

Somalia: Hinter geschlossenen Türen hat der Rat die Vorbereitungen für die Ablösung der afrikanischen Schutztruppe ATMIS beraten. Somalia gilt als Präzedenzfall für die Übernahme grösserer Sicherheitsverantwortung durch die Afrikanische Union und eine neuartige Zusammenarbeit zwischen regionalen Organisationen und der UNO.

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Espresso Diplomatique

Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 469, Januar 2025,  stehen die Flüchtlinge aus Myanmar nach Thailand, Indien und Malaysia im Fokus. Der Konflikt destabilisiert die Region, da die Nachbarländer durch überfüllte Flüchtlingslager und fehlende Ressourcen belastet sind.            Nr. 469 | 14.01.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.

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