Schweiz im Sicherheitsrat

Schweiz im Sicherheitsrat 40/2024

Schweiz: Der Ratsvorsitz im Monat Oktober liegt turnusgemäss bei der Schweiz. Neben den Routinegeschäften und den möglichen Dringlichkeitssitzungen plant sie für die zweite

Monatshälfte zwei Grossdebatten. Die eine ist eine Aussprache über die Bedeutung wissenschaftlicher Innovationen (anticipating the impact of scientific developments on international peace and security) mit Bundesrat Cassis. Die andere ist die jährliche Debatte über «Frauen, Frieden, Sicherheit», die mit der Präsenz von Bundespräsidentin Amherd aufgewertet werden soll.

Haiti: Der Rat hat die von Kenia angeführte internationale Polizeihilfe-Mission einstimmig um ein Jahr verlängert. Deren Aufgabe ist, die haitianische Polizei im Kampf gegen die Drogenbanden (gangs) zu unterstützen, welche das Land im Griff haben. Vorgesehen ist ein Kontingent von 2500 Bewaffneten, von denen bisher lediglich 410 im Land angekommen sind. Sowohl die Bereitstellung von Personal wie auch die Finanzierung der Operation durch einen von einzelnen Staaten gespiesenen trust fund geht nur schleppend voran. Das Begehren von Ecuador und den USA, die Truppe später in eine UNO-Friedenstruppe umzuwandeln, wurde von Russland und China erfolgreich abgewehrt.

Kongo DRC: Der stufenweise Abzug der UNO-Blauhelme MONUSCO aus der Demokratischen Republik Kongo (DRC) und ihre Ablösung durch eine Schutztruppe der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft SADC (South African Development Community) ist eines der heikelsten Unterfangen im Bereich der UNO-Friedensbemühungen. Phase I ist abgewickelt, MONUSCO ist aus Süd-Kivu abgezogen, die SADC-Truppe hat gemeinsame Übungen mit der kongolesischen Regierungsarmee begonnen. Parallel dazu hat die afrikanische Friedensdiplomatie unter Führung Angolas einen Waffenstillstand zwischen der Regierungsarmee und Ruanda vermittelt, das sich in die Kämpfe im Osten Kongos einmischt. Im Rat würdigte die Chefin von MONUSCO das Erreichte. Sie betonte indessen, die Sicherheitslage bleibe “gespannt” und die “Herausforderungen” seien “furchterregend”. Die von Ruanda unterstützte M23-Miliz breitet sich weiter aus, in der Provinz Ituri haben sich die Kämpfe zwischen rivalisierenden Gruppen verschärft, die humanitäre Not steigt und die – von allen Seiten ausgeübte – Gewalt an Frauen und Mädchen bleibt unerreicht. Die Vertreterin einer Frauenorganisation teilte dem Rat mit, dass im vergangenen Jahr 90 000 Fälle von sexueller Gewalt dokumentiert wurden und im Makala-Gefängnis in der Hauptstadt Kinshasa 300 Frauen und Mädchen massenvergewaltigt worden seien. Mehrere Ratsmitglieder forderten “Schutz der Zivilbevölkerung”. Die USA erklärten, bevor die Sicherheitslücken in Süd-Kivu nicht geschlossen seien, solle kein weiterer Abzug von MONUSCO beschlossen werden. Ruanda und Kongo-DRC beschuldigten sich gegenseitig, den Konflikt am Leben zu erhalten. Die Schweiz beklagte die straflosen Verbrechen gegen Frauen und Mädchen und forderte Rechtsstaatlichkeit im ganzen Land.

Mittelmeerflüchtlinge aus Libyen: Das UNO-Mandat, des Menschenschmuggels verdächtigte Schiffe aus Libyen auf hoher See zu inspizieren, ist erloschen und wird auf Entscheid des penholder Frankreich nicht verlängert. Betroffen ist insbesondere die EU-Operation “Irini”, die seit 2020 vor allem gegen Waffenschmuggel nach Libyen gerichtet ist, jedoch auch die Unterbindung des Menschenschmuggels aus Libyen bezweckt. Auf russischen Antrag diskutierte der Rat die Auswirkungen der Massnahmen. Der Vertreter des UNO-Flüchtlingshochkommissariats erklärte, in diesem Jahr hätten die Migrationsbewegungen über das Mittelmeer nach Europa um 24 Prozent abgenommen, aber der Zustrom vor allem von sudanesischen Flüchtlingen nach Libyen schwelle an. Der Vertreter der Internationalen Migrationsorganisation sagte, im Mittelmeer seien dieses Jahr mindestens 1450 Todesfälle von Migranten dokumentiert, und fast die Hälfte der Migranten auf der “zentralen Mittelmeerroute” seien physischen Misshandlungen ausgesetzt. Russland warf den Europäern vor, in Not geratene Schiffe nicht zu retten und die Ankunft von Flüchtlingsschiffen zu blockieren. Europäische Ratsmitglieder erklärten, “Irini” werde ohne UNO-Mandat weiterlaufen, da die Operation durch das Internationale Seerecht abgedeckt sei. Die Schweiz äusserte sich weder zu den Vorfällen im Mittelmeer noch zu den Massnahmen der EU. Sie zeigte sich profondément préoccupée über die Schicksale der Migranten, forderte (wie es der von Regierung und Parlament zunächst von sich gewiesene UNO-Migrationspakt vorsieht), mehr Schutz für die Gefährdeten ( renforcer la protection des personnes en situation de vulnérabilité tout au long des routes migratoires) und “integrative Lösungen”, die über den Staat hinausgehen und die gesamte Gesellschaft einbeziehen.

Afrikanische Union: Die engere Zusammenarbeit zwischen der UNO und der Afrikanischern Union (AU) im Bereich der Friedenssicherung stand im Zentrum der jährlichen Debatte über das Verhältnis der beiden Organisationen. Der Sicherheitsrat hat im vergangenen Jahr die Türe zur Finanzierung von AU-Friedensoperationen mit UNO-Mitteln aufgestossen, und gegenwärtig wird die Konkretisierung geprüft. Als erster Anwendungsfall gilt Somalia, wo derzeit die UNO-Mission und eine militärische AU-“Übergangsmission” abgewickelt werden. Die Vertreter der AU und mehrere andere Staaten – darunter die Schweiz – betonten den Zusammenhang zwischen Klimaveränderung und Gefährdung der Sicherheit. Die Schweiz unterstrich das wirtschaftliche Potential Afrikas als junger “Kontinent der Zukunft”: “Bis 2050 werden 40 Prozent der jungen Menschen auf der Welt auf dem afrikanischen Kontinent leben. Die jungen Afrikanerinnen und Afrikaner werden bei der Schaffung der Zukunft der Welt eine Schlüsselrolle spielen”.

Somalia: Der Vertreter der UNO-Mission UNSOM und der AU-Mission ATMIS orientierten den Rat über den Stand des Aufbaus staatlicher Institutionen und der Übernahme der Sicherheits- und Polizeifunktionen durch den somalischen Staat. Anfang 2025 soll die bisherige Konfiguration internationaler Hilfe abgelöst werden. Zahlreiche Ratsmitglieder wiesen auf die fortwährende Aktivität der islamistischen Al Shabaab hin, die vor kurzem durch einen Anschlag in Mogadischu auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Schweiz sagte, Somalia befinde sich in einem “Moment der Hoffnung”. Sie betonte das Prinzip “eine Person, eine Stimme” beim Aufbau der staatlichen Institutionen, unterstrich die Notwendigkeit des Einbezugs der Frauen und forderte Einhaltung des Völkerrechts im Kampf gegen Al Shabaab. Sie wies auf vier Hinrichtungen in Puntland hin, deren Opfer für Taten verurteilt wurden, die sie als Minderjährige begangen hatten.

Libanon, Israel, Iran: Auf französischen Antrag hat der Rat sich mit der Eskalation der Gewalt zwischen Israel, Iran und der Hisbullah-Miliz im Libanon befasst. Der UNO-Generalsekretär rief zum Waffenstillstand in Gaza und zum Verzicht auf weitere Schläge auf: “This tit for tat must stop. Frankreich forderte Zustimmung zum französisch-amerikanischen Vorschlag einer 21tägigen Waffenruhe im Libanon. Die USA stellten sich hinter Israel und verlangten, der Rat müsse Iran für seinen Raketenangriff verurteilen und der iranischen Revolutionsgarde “ernsteste Konsequenzen” auferlegen. Israel sagte, es werde “handeln”. Iran sei der “Feind aller zivilisierten Nationen”. Die Schweiz, préoccupée au plus haut, forderte Einhaltung des humanitären Völkerrechts und sprach allen Friedensbemühungen ihre Unterstützung aus.

Golan: Hinter verschlossenen Türen hat der Rat sich über die UNO-Beobachtertruppe auf den Golanhöhen zwischen Israel und Syrien UNDOF (UN Disengagement Observer Force in the Golan) unterrichten lassen.

Nord Stream: Nach zwei Jahren treten die Untersuchungen zur Sabotage der Nord Stream Gaspipeline in der Ostsee an Ort. Auf russischen Antrag befasste der Rat sich mit dem Stand der Dinge. Der gewohnte Auftritt eines UNO-Vertreters als briefer blieb aus. Russland erklärte, die abgeschlossenen Untersuchungen in Schweden und Dänemark hätten lediglich das Offensichtliche ergeben, dass die Zerstörung der Leitungen ein Sabotageakt war. Die laufende deutsche Untersuchung sei intransparent und werde von den USA “und ihren Verbündeten” sabotiert. Weder Deutschland noch Schweden oder Dänemark traten in der Sitzung auf. Einige Staaten – darunter Slowenien – forderten eine internationale Untersuchung. Mehrere Ratsmitglieder wiesen auf den Widerspruch zwischen Russlands Klage über das Schicksal von “Nord Stream” und die massiven Zerstörungen der ukrainischen Energieinfrastruktur durch die russische Armee hin. Die Schweiz sprach, sagte aber wenig. Als Ratsvorsitz für den Monat Oktober ist sie eine heisse Kartoffel los: Russland erklärte, dass es sich nicht mehr an Verhandlungen über eine “Präsidialerklärung” zum Thema beteiligen werde. Der Rat hatte sich wiederholt und über längere Zeit darum bemüht.

Schweizer Erklärungen:

#Multilateralismus #Schweiz im Sicherheitsrat

Espresso Diplomatique

Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 469, Januar 2025,  stehen die Flüchtlinge aus Myanmar nach Thailand, Indien und Malaysia im Fokus. Der Konflikt destabilisiert die Region, da die Nachbarländer durch überfüllte Flüchtlingslager und fehlende Ressourcen belastet sind.            Nr. 469 | 14.01.2025

Eine Aussenpolitik für die 
Schweiz im 21. Jahrhundert

Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)    

Zu den Beiträgen

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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.

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