Die Schaffung einer Nationalen Menschenrechtsinstitution kommt in die parlamentarische Phase. Es geht um ein Instrument ausserhalb von Justiz und Verwaltung mit einer hauptsächlich präventiven Funktion. Zum Auftragsbereich sollten auch die Aussenbeziehungen gehören.
Braucht es für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte eine zusätzliche Institution? Der Bundesrat bejaht es, indem er im Dezember eine entsprechende Botschaft an die eidgenössischen Räte verabschiedet hat. Dass dies acht Jahre nach dem Start eines Pilotprojekts (Kompetenzzentrum), 18 Jahre nach zwei parlamentarischen Vorstössen und 26 Jahre nach der betreffenden Resolution der Uno geschehen ist, zeugt indes nicht von einer Einstufung als dringlich. In der Vernehmlassung war das Echo mehrheitlich positiv, teilweise allerdings schwach gewesen; neben dem Nein der SVP fiel vor allem jenes der FDP auf, sind die Menschenrechte doch die Grundlage des Liberalismus.
Die Freiheitsrechte gegenüber dem Staat schützt institutionell letztlich die Justiz. Doch Regierung und Parlament sollten sich ihrerseits bei ihrem Handeln der Menschenrechte stets bewusst sein, und nur wenn diese auch von den Bürgerinnen und Bürgern hochgehalten werden, bleiben sie lebendig. Hinzu kommen nun Faktoren, bei denen die vorgesehene unabhängige Institution eine wesentliche Rolle spielen kann. Genannt seien drei. Erstens werfen technologische Entwicklungen wie etwa die Künstliche Intelligenz neue Fragen auf, die zudem – man denke an den Persönlichkeitsschutz – auch die Verantwortung privater Unternehmen betreffen. Dokumentation und Forschung können helfen, in solchem Neuland Orientierung zu gewinnen. Zweitens sind gerichtliche Klagen und Verfahren gegen Menschenrechtsverletzungen aufwendig und oft nur von beschränkter Wirkung; einen polizeilichen Übergriff zum Beispiel oder einen ungerechtfertigten Freiheitsentzug können sie nicht ungeschehen machen. Umso sinnvoller ist Prävention mittels Beratung und Ausbildung der Praktikerinnen und Praktiker in Behörden, öffentlichen Einrichtungen und der Wirtschaft.
Kein Ersatz für Politik
Drittens wird die Vorstellung von Menschenrechten als einer Art Schutzpanzer zumindest den heutigen Verhältnissen oft nicht gerecht. Manche Freiheitsrechte – namentlich etwa von Behinderten, Heimbewohnern, Asylsuchenden und in anderer Weise abhängigen Menschen – implizieren auch staatliche Leistungen, wenn sie nicht Theorie bleiben sollen. Erst recht, naturgemäss, gilt dies für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, die im Tätigkeitsbereich der künftigen Institution inbegriffen sind. In dieser Hinsicht dürften Expertise und Öffentlichkeitsarbeit des unabhängigen Fachorgans wohl besonders gefragt, aber auch besonders heikel sein.
Im Sozialstaat müssen verschiedene legitime Ansprüche beziehungsweise Leistungen gegeneinander und gegen wirtschaftlich-finanzielle Interessen abgewogen werden. Diese Aufgabe kann der Politik nicht abgenommen werden; mit dem Menschenrechtsansatz, der Prinzipien und Ziele klären kann, stösst man früher oder später an Grenzen. Die neue Institution, die Prioritäten setzen muss und auch Dienstleistungsaufträge ausführen kann, wird darauf zu achten haben, dass sie nicht mit extensiver Auslegung einzelner Rechte und mit der Favorisierung bestimmter Lösungswege als politischer Anwalt bestimmter Gruppen erscheint. Zur Illustration: Die Wohnbau-Initiative, über die im Februar abgestimmt wird, mag tendenziell dem «Recht auf ausreichende Unterbringung» entsprechen, muss aber nicht als einzig mögliche Konsequenz daraus verstanden werden.
Verantwortung über Landesgrenzen hinaus
Die gesetzliche Regelung, die der Bundesrat beantragt, dürfte den «Pariser Prinzipien» der Uno genügen. Diese verlangen nicht zwingend auch eine Zuständigkeit für Einzelfälle, und die neue schweizerische Institution würde überfrachtet, hätte sie auch als Ombudsstelle zu dienen. Ein Diskussionspunkt ist neben der (anfänglich) bescheidenen Grundfinanzierung mit einer Million Franken pro Jahr die Beschränkung auf die «Menschenrechte in der Schweiz». Nach den Erläuterungen zum Vernehmlassungsentwurf (die Botschaft schweigt sich hier aus) sollten die Auslandaktivitäten von Unternehmen, nicht aber die Menschenrechts-Aussenpolitik des Staates inbegriffen sein. Eine solche Abgrenzung ist nicht nachvollziehbar, zumal die neue Einrichtung im Gesetz über die aussenpolitische Förderung von Frieden und Menschenrechten verankert werden soll.
Der internationale Bezug des Vorhabens ergibt sich nur äusserlich daraus, dass ihm eine Empfehlung der Uno zugrunde liegt, deren Befolgung durch Länder wie die Schweiz es nicht zuletzt Staaten mit schwieriger Menschenrechtslage erleichtern soll, ein solches Zentrum zu errichten. Menschenrechte sind offiziell ein gemeinsames Anliegen der Staaten, bei ihrer Durchsetzung gilt längst das Einmischungsprinzip. Der Uno-Pakt I verpflichtet die Vertragspartner gar explizit, mit internationaler Zusammenarbeit und Hilfe zur Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte beizutragen. Es sollte daher klargestellt werden, dass auch die Aussenbeziehungen – von den Rüstungsexporten bis zur Entwicklungshilfe – ohne widersinnige Einschränkung zum Aktionsfeld der Menschenrechtsinstitution gehören.
Die Verfechter des ganzen Anliegens sind noch nicht am Ziel. Sie haben, ohne zu hohe Erwartungen zu wecken, nicht zuletzt noch manche Bürgerliche davon zu überzeugen, dass der liberale Rechtsstaat auch neuartige, «weiche» Einrichtungen brauchen kann, um seiner Idee gerecht werden zu können.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
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