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Ogi für Geduld – Couchepin für Kehrtwende

In der SGA-Reihe «Aussenpolitische Aula» haben zwei Altbundesräte über die Europapolitik diskutiert. Für die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative sollte sich die Schweiz mehr Zeit geben, fand Adolf Ogi. Pascal Couchepin hingegen postulierte, die Unmöglichkeit des bisherigen Vorgehens einzugestehen und den Verfassungsartikel zu ändern.

Die Aula der Universität Bern war voll besetzt, als gleich zwei ehemalige Mitglieder der Landesregierung über «das Verhältnis Schweiz – EU in unsicheren Zeiten» sprachen. Adolf Ogi (Bundesrat von 1988 bis 2000) und Pascal Couchepin (Bundesrat von 1998 bis 2009) ergingen sich auch keineswegs in allgemeinen Betrachtungen und kollegialem Schulterklopfen. Sie äusserten sich in dem von Gret Haller und Markus Mugglin moderierten Gespräch recht klar besonders zur aktuellen Frage, wie mit dem Widerspruch zwischen den Volksentscheiden zur Personenfreizügigkeit und zu deren Beschränkung umzugehen sei.

Adolf Ogi (SVP-Mitglied, aber «über der Sache») schickte voraus, dass das Verhandlungsklima für die Schweiz schwieriger sei als während seiner Amtszeit. Doch sei auch das Land selber insofern nicht gut gewappnet, als keine Staatsleitungsreform zustande gekommen sei, die namentlich dem aussenpolitischen Wirken des Bundespräsidenten mehr Kontinuität verliehen hätte. Wichtig wäre heute Leadership. «Wir wissen nicht, was der Bundesrat will», sagte Ogi; er konstatierte eine grosse Verunsicherung und vermisste die nötige Kommunikation nach innen wie nach aussen. Ein einseitig etablierter Schutzmechanismus, wie ihn der Bundesrat erwägt, hätte grosse Probleme mit der EU zur Folge. Die Schweiz sollte sich daher mehr Zeit geben, um in einem regelmässigen Dialog mit Brüssel kreativ eine Kompromisslösung zu suchen. Ogi sprach von allenfalls sieben, acht Jahren und wies auch auf die Möglichkeit eines britischen Austritts aus der EU hin, in dessen Folge es vielleicht zu einer Integration der zwei Geschwindigkeiten kommen könnte.

Pascal Couchepin (Freisinniger mit Walliser Streitbarkeit) hält von einem solchen Aufschub nichts. Ganz abgesehen davon, dass die Unsicherheit für die Wirtschaft verlängert und der Weg zu neuen Abkommen blockiert würde, sei die Umsetzungsfrist des neuen Verfassungsartikels über die Einwanderung verbindlich und könnte auch nicht einfach durch Zustimmung der Initianten, am Volk vorbei, verlängert werden. Eine Missachtung würde das Vertrauen in die politische Führung schwächen. Ein Entgegenkommen der EU bei der Personenfreizügigkeit sei nicht zu erwarten. Für Couchepin ist es deshalb an der Zeit, dass der Bundesrat sagt: Es ist unmöglich. Es wäre an der Schweiz, einen Schritt zu machen; denn «wir haben den Fehler gemacht» mit dem «Zufallsentscheid» vom 9. Februar 2014. Folglich wäre eine zweite Abstimmung geboten, deren Gegenstand allerdings nicht der gleiche Text bzw. dessen Aufhebung, sondern ein neuer Vorschlag sein sollte. Wie dieser aussehen könnte und ob die Zeit dafür reichen würde, sagte Couchepin nicht.

#Europa #Schweiz-EU #Völkerrecht

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