Bei der Vorlage über die Abkommen für den Informationsaustausch in Steuersachen mit Ländern wie zum Beispiel Russland achtet der Bundesrat zu wenig auf den Schutz der Menschenrechte.
Zurzeit behandeln die Räte ein drittes Paket von völkerrechtlichen Verträgen mit 41 Partnerstaaten zum Informationsaustausch in Steuersachen (Botschaft BBl 2017 4913). Darunter sind nicht zuletzt Verträge mit Russland, China, Saudi-Arabien und den Vereinigten Emiraten. Diese umfangreiche Aktion geht zurück aufs Jahr 2014, als die OECD, auch auf Druck der G 20, beschlossen hatte, die bisherige Regulierung durch Doppelbesteuerungsabkommen mit Informationspflichten im Einzelfall oder allenfalls auf Gruppenersuchen hin gegenüber dem Ausland durch eine fortlaufenden Informationsaustausch unter Partnerstaaten über Finanzkonten von allfälligen Steuerpflichtigen zu ersetzen. Ein von der OCED beschlossenes Grundabkommen (MCAA) wurde von der Bundesversammlung am 18. Dezember 2015 ratifiziert. Seit 2015 werden allerdings die verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und aussenpolitischen Probleme dieser praktisch ungefilterten Lieferungen von meist recht heiklen Daten weder in den Botschaften des Bundesrates noch in der Öffentlichkeit gross diskutiert. Jetzt aber sollten auch grundsätzliche Fragen behandelt werden.
Ein verfassungsrechtliches Problem ist schon, dass die lieferungspflichtigen privatwirtschaftlichen Finanzinstitute eigentlich eine nicht bankenrechtliche, sondern eine öffentlich-rechtliche, ja völkerrechtliche Pflicht bekommen haben, die grundsätzlich der Bund in den zwischenstaatlichen Beziehungen erfüllen müsste. Mit der jetzigen Konstruktion stehen die privaten meldepflichtigen Personen richtig besehen in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis zum Finanzinstitut und sollten einen öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Rechtsschutz haben.
Das zweite Problem liegt darin, dass der Bundesrat die einzelnen Verträge nur mit einem einfachen Bundesbeschluss genehmigen lassen will. Die Begründung lautet, dass mit der Genehmigung des Rahmenübereinkommens und des Bundesgesetzes zum AIA, die beide dem fakultativen Referendum unterlagen, der Grundsatzbescheid bereits gefallen sei: «Die nachfolgenden Beschlüsse definieren lediglich den Anwendungsbereich des AIA». Zudem sei zu den rund 50 Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nie ein Referendum ergriffen worden (sic!). Die Begründung ist unzutreffend und verfassungsrechtlich fragwürdig, denn es werden z.B. mit China oder mit Mexiko neue völkerrechtliche Vertragspflichten begründet, die etwa bezüglich alter ungelöster Probleme oder bezüglich der Garantien für den Menschenrechtsschutz in jedem Fall noch besonderer Spezifikation bedürfen.
Ungenügende Schranken eingebaut
Mit diesem Stichwort ist das dritte Problem angesprochen: Alle bisherigen Abkommen zur Amts- und Rechtshilfe legen gewisse klare, begrenzende Voraussetzungen der Datenlieferung fest und enthalten, selbst in minimaler Form noch in Art. 26 Abs.3 des Musterabkommens der OECD für die DBA, einen Vorbehalt zum Schutz elementarer Menschenrechte bzw. der Achtung des ordre public. Solche Schranken sind in Rahmenübereinkommen für den AIA praktisch nicht festgelegt worden. Einigkeit besteht nur, dass der Datenschutz im Staat, der die Datenlieferung bekommt, gleichwertig zu den Standards sein soll, wie sie in der Schweiz und in der EU gelten.
Der Schutz der Persönlichkeit der Bankkunden eröffnet dann via die Datenschutzgarantien den menschenrechtlichen Rechtsschutz, welchen jeder Empfängerstaat nach dem UNO-Pakt II und in Europa nach der EMRK und der EU-Grundrechte-Charta einhalten muss. Diese Gleichwertigkeit ist allerdings bei den allermeisten Staaten des dritten Pakets nicht gewährleistet. Deshalb will der Bundesrat gegenüber dem jeweiligen Partnerstaat eine einseitige Mitteilung zum Datenschutz abgeben. Doch diese hat für die betroffenen Personen keine rechtliche Bindungswirkung, ausser dass die Schweiz bei menschenrechtswidrigem Datenumgang dem Partnerstaat einen Vertrauensmissbrauch vorwerfen könnte. Das genügt aber nicht; es bräuchte eigentlich konkrete Zusicherungen, wie sie in der Strafrechtshilfe gegenüber gewissen Staaten üblich sind.
Schliesslich und nicht zuletzt fragt es sich, ob es aussenpolitisch richtig ist, dass die Schweiz völkerrechtliche Verpflichtungen mit so weitgehenden Wirkungen auf Einzelpersonen oder Unternehmen eingehen soll, wenn es um Staaten geht wie Russland, das gegenwärtig in mehrere bewaffnete Konflikte verwickelt ist, vielfach und fortdauernd Menschenrechte verletzt, angebliche Steuerschulden zur Verfolgung von Oppositionellen nutzt sowie eine tief korrupte Bürokratie und Justiz hat. Wäre es da nicht geboten, auf jeglichen AIA zu verzichten und, wie im Fall von China, beim herkömmlichen DBA zu bleiben? Es geht eben nicht primär darum, Steuertrickser bekannt zu machen, sondern darum, dass die Schweiz nicht fahrlässig Menschrechtsverletzungen riskiert und sich durch umfangreiche Informationslieferungen vielfältig erpressbar macht.
Rainer J. Schweizer, Prof. em. für öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht, St. Gallen
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