Kolumne

Lücken im Schweizer Länderbericht

Die Schweiz präsentiert im Juli ihren Länderbericht über die Umsetzung der Agenda 2030. Was Umsetzung, Ambition und Transparenz betrifft bestehen grosse Lücken. Eine Nachsteuerung ist angezeigt, um einen ausreichenden, angemessenen und gerechten Beitrag zu leisten. Ein kritischer Kommentar mit Impulsen.

Die von der UNO-Generalversammlung gesteckten 17 Ziele der Agenda 2030 sind der universale, alle Mitgliedsstaaten in Nord und Süd verpflichtende Rahmen für nachhaltige Entwicklung. Anfang Juli findet in New York das UN High-Level-Political Forum (HLPF) über den Stand der Umsetzung statt. Neben einer vertieften allgemeinen Überprüfung einzelner Ziele sind die Mitgliedsländer eingeladen, nationale Umsetzungsberichte vorzutragen. Die bislang vorliegenden Berichte machen unzureichende Fortschritte in den Bereichen Wasser, Energie, Urbanisierung, nachhaltige Produktions- und Konsummuster, Ökosysteme und Biodiversität aus. UNO-Generalsekretär António Guterres weist immer wieder darauf hin, dass die Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele starken politischen Willen und ambitioniertes Handeln erfordert.

Der Bundesrat hat im Mai 2022 den zweiten Länderbericht der Schweiz verabschiedet. Dieser beinhaltet eine Bestandesaufnahme der schweiz. Nachhaltigkeitspolitik auf der Grundlage von Indikatoren. Verschiedene Fortschritte sind aufgeführt. Jedoch fehlen eine Analyse über das Verfehlen von Zielen und Hinweise für eine zielgerichtete Nachsteuerung. Der Bericht lässt sich anhand von 3 Kriterien bewerten.

  1. Umsetzungslücke: Zwischen den politisch beschlossenen Zielen und bislang erreichten Resultaten besteht eine Differenz. Beispiel: Der Bundesrat wollte bis 2020 die Subventionspraxis, welche die Biodiversität schädigt, umgestalten. Im Juni 2022 hat er die Verwaltung beauftragt, bis Ende 2024 Reformen für 8 von insgesamt 162 Subventionen vorzuschlagen. Das langsame Tempo bleibt ohne Erklärung. Neben selbstkritisch anerkannten Umsetzungsdefiziten fällt auf, dass die negativen Auswirkungen («spill-over»), die von der Schweiz auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der armen Ländern ausgehen, weitgehend ausgespart bleiben.
  2. Ambitionslücke. Über die Umsetzungslücke hinaus, weist der Bericht auch Differenzen zwischen den in der Agenda2030 gesetzten Zielen und den von der Schweiz beschlossenen Umsetzungsmassnahmen auf. Es fehlen Hinweise, wie die Schweiz den postulierten sozial-ökologischen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit voranbringen und Massnahmen betreffend Ressourceneinsparung; Suffizienz in Industrie, Haushalt, Verkehr; zirkuläres Wirtschaften; nachhaltige Infrastruktur und weitere. ausgestalten will. Beispiel: Die Ressourcenbedarfe, Abfallmengen und Plastikströme steigen ungebremst an, obwohl die Erreichung der Entwicklungsziele der Agenda2030 eine Umkehrung der Trends verlangt.
  3. Transparenzlücke. Sozial-ökologischer Wandel provoziert Zielkonflikte, Hindernisse und Blockaden. Der Bericht redet diese im «Jargon des Ungefähren» weg. Es gibt auffallend wenig Begründungen der Umsetzungs- und Ambitionslücken. Die Anstrengung liegt offensichtlich darauf, den Handlungsbedarf «der Politik» im allgemeinsten Sinn zuzuordnen, statt umgekehrt aufzuzeigen, welche Politik zur Bewältigung der Probleme instrumental ist.

Die Agenda 2030 steckt den Rahmen für tiefgreifende Veränderungen in der Innenpolitik und internationalen Zusammenarbeit, um systemische Krisen (u.a. Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt, soziale Polarisierung) zu bewältigen. Unabdingbar hierfür ist eine Politik, die technologische, soziale, institutionelle und kulturelle Innovationen umfasst. Vordringlich sind transsektorale (Departemente übergreifende) Allianzen, um Chancen einer ambitionierten Nachhaltigkeitspolitik zu nutzen. Allen Staaten stellen sich dieselben Fragen: Welche Formen der Gouvernanz befördern einen legitimierten und raschen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit? Wie können Innen- und Aussenpolitik eng verschränkt werden, um die nationale Umsetzung globaler Ziele sicherzustellen? Im Schweizer Länderbericht lassen sich hierzu nur wenige Hinweise finden.

Globale Herausforderungen wie Pandemie, Klima-, Biodiversitätskrise, Ressourcenknappheit oder andere sind eng verschränkt, ebenso die  innen- und aussenorientierten politischen Handlungsfelder. Eine Nachhaltigkeitspolitik mit Biss müsste Transformationsbereiche  festlegen und Hebel für den Wandel  identifizieren. Die laufenden Umbaubemühungen auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Sektoren könnten gebündelt werden, um mehr strategische Wirkung zu erzielen – beispielsweise bei der beschleunigten Ausweitung erneuerbarer Energien oder bei der Beschleunigung einer klimaverträglichen Landnutzung. Derart lassen sich Zielkonflikte und Blockaden eher bewältigen. Zudem befördert eine transparente Begründung des Ambitionsniveaus die politische Auseinandersetzung.

Nachtrag SGA-ASPE: Die zivile Plattform zur Agenda 2030 hat einen “Schattenbericht” zur schweizerischen Implementierung veröffentlicht.


*Martin Fässler hat 20 Jahre Erfahrung in der internationalen Zusammenarbeit. Er war Mitglied der Direktion und Stabschef.in der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).

#Multilateralismus #Nachhaltige Entwicklung

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