Die vom Ständerat in der Debatte zur Armeebotschaft beschlossenen Kürzungen bei der Internationalen Zusammenarbeit schwächen die Schweiz, wo sie erfolgreich unterwegs ist, und schaffen mehr Raum für autoritäre Kräfte, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit untergraben.
Die Weltpolitik befindet sich in einem Umbruch. Dies führt zu einer Neuausrichtung der globalen Machtverhältnisse und beeinflusst die Aussenpolitik der Schweiz. Im Süden verbreitet sich das russische Narrativ vom arroganten Westen, und die Ablehnung sogenannt westlicher Ideen wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie nimmt zu.
Langfristige Entwicklungspartnerschaften gefährdet
Die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgerstock hat gezeigt, wie wichtig eine langfristige Zusammenarbeit mit dem globalen Süden ist. Ohne die Kooperation mit globalen Playern wie China, Indien und anderen Schwellenländern, die den Respekt für die eigenen Werte einfordert, ist eine erfolgreiche Aussenpolitik nicht möglich. Ebenso wichtig ist die Zusammenarbeit mit armen Entwicklungsländern, für die besonders die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz steht. Viele Entwicklungsländer sind skeptisch gegenüber westlichen Lösungen und lassen sich vom Norden nicht mehr bevormunden. Doch ausgerechnet die vertrauensbildende bilaterale Entwicklungszusammenarbeit, die nahe bei den Menschen agiert, soll nun weiter abgebaut werden mit dem Argument, die Schweiz müsse flexibel auf die neuen Herausforderungen reagieren.
Seit Bundesrat Ignazio Cassis sein Amt im Jahr 2017 antrat, hat sich die Zahl der Schwerpunktländer bereits von 46 auf 34 verringert, und die Programme in Lateinamerika werden beendet. Nun könnte der Rückzug aus weiteren sechs bis acht Ländern folgen. Zwischen 2021 bis 2023 sank der Anteil der Ausgaben für bilaterale Entwicklungszusammenarbeit (ohne humanitäre Hilfe und multilaterale Zusammenarbeit) am Gesamtbudget der DEZA von 51 Prozent auf 41 Prozent. Für die Jahre 2025 bis 2028 ist eine weitere substanzielle Kürzung des Budgets geplant. Von den Kürzungen betroffen ist u. a. der Westbalkan, eine Region von eminenter Bedeutung für die Schweiz, insbesondere nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und aufgrund der grossen Diaspora hierzulande. Ein Rückzug aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Albanien könnte es Ländern wie Russland, China, Saudiarabien oder der Türkei ermöglichen, ihren Einfluss ausbauen.
Insgesamt schränkt der Abbau die Möglichkeiten der Schweiz in Sachen Entwicklung und Aussenpolitik ein. Die schweizerische IZA hat durch langfristige Kooperationen mit Entwicklungsländern einen ausgezeichneten Ruf als praxisorientierte und glaubwürdige Partnerin erworben. Die vorgesehenen Kürzungen gefährden diesen Ruf und drohen die IZA zu einem Instrument für kurzfristige politische Entscheidungen zu machen.
Internationale Zusammenarbeit ist nachhaltige Sicherheitspolitik
Eine «Allianz für eine gesamtheitliche Sicherheitspolitik» hat kürzlich dafür plädiert, das Armeebudget und die Internationale Zusammenarbeit nicht gegeneinander auszuspielen. Sie betont, dass die IZA einen unverzichtbaren Beitrag zur langfristigen Sicherheit der Schweiz leistet. Der sicherheitspolitische Bericht des Bundesrates bestätigt dies: «Sie [die Aussenpolitik] trägt zur Stärkung internationaler Sicherheit und Stabilität bei, indem sie gute Dienste anbietet, Beiträge zur Friedensförderung leistet, sich für Völkerrecht, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzt, die Ursachen von Instabilität und Konflikten mit der Entwicklungszusammenarbeit bekämpft und mit humanitärer Hilfe zur Linderung der Not der Zivilbevölkerung beiträgt». Der Bundesrat anerkennt also an, dass Sicherheit umfassend ist und über die Landesgrenzen hinausgehen muss. Eine ganzheitliche Sicherheitspolitik erfordert Investitionen in die multilaterale Zusammenarbeit, nachhaltige Entwicklung und Friedensförderung.
Globale Krisen lassen sich nicht durch Panzer und Kanonen an den Grenzen abhalten, sondern erfordern massive Investitionen in Prävention und internationale Zusammenarbeit. Eine adäquate sicherheitspolitische Analyse, wie sie Martin Dahinden an dieser Stelle kürzlich skizziert hat, kommt zu dem Schluss, dass insbesondere die Internationale Zusammenarbeit gestärkt werden muss. Die Covid-Pandemie und Klimafolgen wie Überschwemmungen haben gezeigt, dass es vielfältige Bedrohungen gibt, die uns alle betreffen. Pandemien, Kriege und Klimaveränderungen verschärfen den weltweiten Hunger und treiben die Landflucht voran. Die Klimakrise verschärft Konflikte, destabilisiert ganze Gesellschaften und beeinträchtigt Frieden und Stabilität.
Eine kürzliche Reise nach Bangladesch hat mir erneut vor Augen geführt, wie dringend der Kampf gegen die Klimakrise für die globale Sicherheit ist. Der Anstieg des Meeresspiegels, starke Wirbelstürme und schwere Überschwemmungen zerstören das Leben und die Existenzgrundlagen der Ärmsten in den Küstengebieten dieses südasiatischen Landes. Zunächst hatte eine extreme Hitzewelle Teile des Landes lahmgelegt, Menschen sind gestorben, Schulen wurden geschlossen, und der Mangel an Trinkwasser hatte gravierende Auswirkungen auf die Dorfgemeinschaften. Kaum war die extreme Hitzewelle vorüber, wurde das Land von einem tropischen Wirbelsturm heimgesucht. Ich habe mit jungen Menschen gesprochen, die aufgrund des steigenden Meeresspiegels, der Versalzung der Böden und der extremen Wetterereignisse keine Perspektiven in der Landwirtschaft sehen und deshalb nur noch ins Ausland migrieren wollen.
Einstehen für eine starke Zivilgesellschaft
Aus langjähriger beruflicher Erfahrung weiss ich: Gute Entwicklungszusammenarbeit wirkt. Sie trägt entscheidend dazu bei, die Lebenssituation armer und benachteiligter Menschen zu verbessern. Dies bedeutet zum Beispiel, dass Jugendliche durch Berufsbildung neue Perspektiven erhalten, Kleinbäuerinnen ihr Ernteerträge und damit ihr Einkommen steigern, und von der Klimakrise betroffene Menschen nicht zur Migration gezwungen werden.
In der Entwicklungszusammenarbeit spielt die Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle, weil es um sozialen Ausgleich und politische Kontrolle geht. Allerdings hat sich die Situation zivilgesellschaftlicher Akteure in den letzten Jahren verschlechtert. Autoritäre Regierungen haben die Corona-Pandemie genutzt, um soziale Proteste zu unterdrücken, zivile Rechte ausser Kraft zu setzen und die Medienfreiheit drastisch einzuschränken. Je weiter sich Regierungen von demokratischen Werten entfernen, desto wichtiger wird die Unterstützung der Zivilgesellschaft. In diesen Zeiten sind physische Präsenz und die moralische Solidarität schweizerischer Entwicklungsakteure für die lokale Bevölkerung oft sogar noch wichtiger als finanzielle Hilfe. Sicherheit schliesst daher das entschiedene Eintreten für Völkerrecht, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und eine starke Zivilgesellschaft ein.
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*René Holenstein, Dr. phil./Historiker und ehemaliger Botschafter, ist Mitglied der Schweizerischen Gesellschaft für Aussenpolitik.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)
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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.
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