Neben den Autoren aus der rechten Ecke der sogenannten Neutralitätsinitiative (Pro Putin Initiative, PPI), gibt es auch eine NATO-feindliche, pazifistische Bewegung, welche die schweizerische Neutralität als helvetische Mission für den Weltfrieden sieht. Sie unterstützt die PPI von der linken Seite her.
Unter der geistigen und finanziellen Führung von Blocher will ‘Pro Schweiz’ mit der PPI zweierlei erreichen. Erstens soll durch die Festschreibung eines Sanktionsverbotes in der Verfassung die schweizerische Aussenpolitik entmündigt, und insbesondere das Verhältnis der Schweiz zur EU irreparabel beschädigt werden. Zweitens sollen unter dem Mantel von ‘Neutralität’ im Konfliktfall Geschäfte in alle Himmelsrichtungen erlaubt bleiben, auch mit Aggressoren wie aktuell Russland.
Diffuse Weltverbesserer
Die Argumente für die PPI von linker Seite sind diffuser. Einer ihrer Wortführer ist der emeritierte Professor Wolf Linder. Seinem vor kurzem in der NZZ erschienen Artikel zufolge sprechen insbesondere die Glaubwürdigkeit der Schweiz als internationaler Friedensstifter und der völlige Verzicht auf Sanktionen für die PPI sprechen. Völlig ausgeklammert in dieser Argumentation wird die durch Putins Aggression veränderte sicherheitspolitische Lage in Europa. Davon ist auch die Schweiz direkt betroffen. Diese drei Punkte werden im Folgenden einer näheren Betrachtung unterzogen.
Glaubwürdigkeit?
Die Glaubwürdigkeit der Schweiz weltweit ist eine Funktion unserer Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik. Aussenpolitisch zählt, dass die Schweiz in der Rangliste der Unterstützer der Ukraine ganz am Schluss der Rangliste westlicher Länder liegt. Dass die Schweiz wegen ihrer Neutralität angeblich kein Kriegsmaterial, auch nicht indirekt liefern könne, interessiert niemanden im Ausland. Insbesondere nicht unsere westlichen Partner, die bilateral und im Rahmen der NATO und der EU – in beiden steht die Schweiz bekanntlich vornehm abseits – grosse Anstrengungen unternehmen, der Ukraine gegen die brutale russische Aggression zu helfen. Freiwillige Beiträge der Schweiz wären hier ebenso möglich als auch gewünscht. Was ungleich substantieller wäre als Gastgeberdienste wie auf dem Bürgenstock.
In der Aussenwirtschaftspolitik will die Schweiz eine Erweiterung des bilateralen Freihandelsabkommens mit China. Dies zu einem Zeitpunkt, wo sich, angesichts der aggressiven Politik von Xi Jinping im Innern – Neokolonialismus in Tibet, Xijiang (Uiguren) und in der Inneren Mongolei – und gegen aussen, alle anderen westlichen Länder von China zurückziehen. Ebenso wie grosse Wirtschaftsakteure, darunter auch grosse Finanzinstitutionen. In Afrika erscheint die Schweiz als Sitz von Firmenimperien der Nahrungsmittelindustrie und von Rohwarenhändler, welche sich mehr, erstere, oder weniger, Glencore und andere, um gerechtes, nachhaltiges Wachstum im Herkunftsland ihrer Produkte kümmern.
Die Vorstellung, dass im Globalen Süden Konflikte warten würden, um durch schweizerische Neutralität gelöst zu werden, ist anmassend und irrealistisch .Die dreiste Einmischung des ruandischen Präsidenten Paul Kagame im Nachbarland Volksrepublik Kongo figuriert, soweit bekannt, nicht unter hevetischen Friedensmissionen. Schweizerische Politik in Ruanda war ja bekanntlich in der Vergangenheit alles ander als ‘neutral’. Ebenso wenig kann die Schweiz im Ölkonflikt zwischen Guyana und Venezuela vermitteln, wo sich der grosse Nachbar Brasilien um Konfliktsberuhigung bemüht.
Sanktionsverzicht?
Sanktionen stellen einen hohen Grad der Verurteilung eines Aggressors dar, in moralischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Mögliche zukünftige Beispiele sind ein weiteres Ausgreifen des putinistischen Russland in Osteuropa. Ebenfalls absehbar sind chinesische Aggression, etwa gegen Taiwan oder im Südchinesischen Meer.
In solchen Fällen keine Sanktionen anwenden zu können, würde für die Schweiz moralischer Boykott bedeuten sowie politische Isolation und wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen. Sich nicht an westlichen Sanktionen zu beteiligen bedeutet de facto die Unterstützung des Aggressors uns wäre alles andere als ‘neutral’.
Schafft Neutralität Sicherheit?
Das Manifest Neutralität 21 (der Schreibende ist einer der sieben Autoren) will den Bundesrat ermutigen, die Neutralität vorrangig als Instrument der Sicherheitspolitik zu handhaben. Heute ist leider unbestritten, dass die schweizerische Armee auf Jahrzehnte hinaus nicht autonom verteidigungsfähig ist. Damit besteht eine Pflicht des Bundesrates, zur Behebung dieses schwerwiegenden Mangels auch eine operative Zusammenarbeit mit Nachbarländern zu prüfen. Ausser Österreich sind dies alles Mitgliedstaaten der NATO. So wie Schweden, wo seit Jahren die schweizerische Luftwaffe realistische Übungsbedingungen vorfindet. Das Manifest Neutralität 21 will keinen Beitritt zur NATO, aber auf Gegenseitigkeit beruhende operative Zusammenarbeit.
Das momentan im Kriegsmaterialgesetz festgeschriebene (Wieder-)Ausfuhrverbot an ein in einen bewaffneten Konflikt involviertes Land beruht auf dem auch von Linder propagierten überholten Neutralitätsbegriff der Haager Abkommen von 1907. Dort wird zwischen Aggressor und Opfer kein Unterschied gemacht, was durch das Agressionsverbot in der UNO Charta und die dort festgehaltene Pflicht, dem Aggressionsopfer zu helfen und den Aggressor zu isolieren aufgehoben worden ist. Ungeachtet davon machen auch der Bundesrat und die konservativen Ecke im Parlament, und die pazifistische Linke fälschlicherweise immer wieder die Haager Abkommen geltend. Das darauf basierende Ausfuhrverbot hat neben dem Aggressionsopfer – so momentan die Ukraine, zukünftig ein Land in Osteuropa oder in Asien – auch für die Schweiz gravierende sicherheitspolitische Konsequenzen. Westliche Länder sehen davon ab, der Schweiz noch Kriegsmaterial zu verkaufen oder es von uns zu beziehen, da sie befürchten, im Falle einer Aggression verweigere die Schweiz Ausfuhr und Wiederausfuhr. Ohne substantiellen Ex-und Import kann es keine schweizerische Armee geben.
Die Schweiz ist keine Insel
Die PPI, vom Bundesrat dem Parlament und dem Volk bereits zur Ablehnung empfohlen, ist der wohl letzte Versuch von Blocher, damit von unbegrenzten Mitteln unterfüttert, die Schweiz zur isolierten Insel von moralisch gleichgültigen Sonderlingen zu machen. Dass sie auch von linker Seite unterstützt wird, ist bedauerlich.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)
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