Veranstaltungsberichte

Handelspolitik im Zeichen von Machtpolitik

Das konstante Bemühen der Schweiz um möglichst freien Zugang zu den Märkten der Welt wird durch den Trend zu Protektionismus wie auch durch Widerstände im Land selbst erschwert. An einer Aussenpolitischen Aula in Basel wurde ausgeführt, dass in der Handelspolitik zwar Fortschritte noch möglich sind, die wechselhafte geopolitische Lage aber auch zu Verschlechterungen führen könnte.

Die Aussenwirtschaftspolitik steht heute in besonderer Weise in Zusammenhängen mit machtpolitischen Entwicklungen einerseits, innenpolitischen Faktoren anderseits. Um das Verhalten der Schweiz in der komplexen Situation zu erörtern, hat die SGA Akteure aus Diplomatie, Industrie und Zivilgesellschaft an der Universität Basel zusammengeführt. Die Veranstaltung wurde von Vizepräsident Rudolf Wyder eröffnet und von Markus Mugglin, Mitglied des Vorstands, moderiert.

Im Kontext einer Deglobalisierung

Der Königsweg wäre für die Schweiz immer noch ein multilaterales Handelssystem, sagte Helene Budliger Artieda, Chefin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), zu Beginn. Die Welthandelsorganisation (WTO) sei noch nicht als tot zu erklären, nach ihren Regeln spielen sich mehr als 70 Prozent des Handels ab. Doch aus geopolitischen Gründen blockiert, könne sie Zukunftsthemen wie den Internethandel oder die Nachhaltigkeit kaum mehr angehen. Budliger betrachtet die Deglobalisierung – unter Verstärkung der Dynamik innerhalb grosser Regionen – nicht als vorübergehendes Phänomen. Die Schweiz müsse daher auf verschiedenen Hochzeiten tanzen, also auch bilateral vorgehen. Allerdings sei sie keine einfache Braut, da sie ihre Agrarpolitik verteidige und beim Schutz des geistigen Eigentums hohe Ansprüche stelle. Sie müsse sich aktiv bemerkbar machen, stosse dann aber bei potenziellen Partnern auf Interesse.
Das Freihandelsabkommen mit Indien liegt bereits beim Parlament. Den nächsten Abschluss erwartet die Seco-Direktorin mit Thailand. Im Fall des Mercosur (Argentinien, Bolivien, Brasilien, Paraguay und Uruguay) fehlt (nur) noch eine Einigung beim geistigen Eigentum. Allerdings muss die Schweiz wahrscheinlich der EU den zeitlichen Vorrang lassen, und zudem ist die Absicht Argentiniens momentan unklar. Mit China wird über eine Modernisierung des geltenden Abkommens verhandelt. Aus Washington kommen «positive Signale», doch gibt es noch kein Mandat. Als sechstgrösster, forschungsstarker Investor wäre die Schweiz laut Budliger für die USA interessant. Die von Donald Trump angekündigte Erhöhung der Zölle und die Aussicht auf eine kämpferische Reaktion der EU machten es noch wichtiger, dass sich die Schweiz um gute Rahmenbedingungen für ihre Unternehmen bemühe. Über mögliche schweizerische Gegenleistungen (die Industriezölle sind aufgehoben) äusserte sich die Referentin nicht.

EU: Tücken auf der Zielgeraden

Die USA haben zwar Deutschland als wichtigstes Handelspartnerland der Schweiz abgelöst, das Volumen des Austauschs mit der ganzen EU, die allein Verträge schliessen kann, ist aber etwa dreieinhalbmal so gross. Eine Abschottung vom «eigentlichen Heimmarkt» (Europa) zu verhindern, sei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs das Ziel des Bundesrats, rief Alexandre Fasel, Staatssekretär im Aussendepartment, in Erinnerung. Heute droht eine schleichende Verschlechterung, sollte der Ausbau der bilateralen Verträge scheitern. In den laufenden Verhandlungen sind die institutionellen Regelungen und die Beihilfenfrage unter Dach. Als Bereiche, in denen noch Differenzen bestehen, erwähnte Fasel die Zuwanderung, speziell die Schutzklausel, die Frage der Reservehaltung im Stromabkommen und den Kohäsionsbeitrag, der grösser sein werde als bisher und kleiner als jener des EWR-Mitglieds Norwegen.
Auf der Zielgeraden rechnet er mit Indiskretionen und Versuchen der Gegenseite, noch etwas mehr herauszuholen. Einen Abschluss bis Ende Jahr hält er indes für möglich, wobei die Delegation der EU unter höherem Zeitdruck stehe als die der Schweiz. Als wohl zentral für den innenpolitischen Erfolg erwähnte Fasel die Begleitmassnahmen, speziell den Lohnschutz, ohne auf die heiklen Gespräche der Sozialpartner weiter einzugehen. Der Zeitplan sieht vor, dass der Bundesrat nach der Paraphierung dem Parlament innert sechs Monaten die Botschaft zuleitet. Vertragstexte, Umsetzungserlasse (etwa 30 Gesetze und 40 Verordnungen) und Erläuterungen, auch zu den Begleitmassnahmen, dürften 1400 Seiten füllen.

Leitplanken für Nachhaltigkeit

Severin Schwan, Verwaltungsratspräsident von Roche, illustrierte, auf welchen neuen Wegen der Handel heute behindert werden kann. Der in den USA geplante Biosecure Act verbietet den Kontakt mit bestimmten chinesischen Firmen und greift damit tief in die Lieferketten auch nichtamerikanischer Unternehmen ein. Sorgen bereiten dem vom Export lebenden Pharmakonzern zudem die Tendenzen der EU, eine aktive Industriepolitik zu betreiben sowie mehr Subventionen und hohe Schulden zuzulassen, da die Schweiz unter Anpassungszwang geraten könnte. Das «Schreckensszenario» einer Eskalation zwischen den USA und China wird gemildert durch die Annahme, dass selbstschädigende Massnahmen wie stark preistreibende Zölle Gegenkräfte hervorrufen würden.
Andreas Missbach, Geschäftsleiter der entwicklungspolitischen Dachorganisation Alliance Sud, brachte in globaler Perspektive grundsätzliche Vorbehalte zur Freihandelspolitik an. Liberalisierungen brächten jeweils auch Verlierer hervor und seien, selbst wenn Agrarexporte aus armen Ländern ermöglicht würden, noch kein Instrument der Entwicklung. Im Fall Brasiliens sei es nach einem Höhepunkt der Industrialisierung (1986) im Zuge von Marktöffnungen sogar zu einer Desindustrialisierung gekommen. Missbach zeigte denn auch Verständnis für die Forderung ärmerer Länder nach einem eigenen Produktionsanteil – für Schwan im Rahmen von Freihandelsverträgen absurd. Die Abkommen der Schweiz, forderte der Vertreter von Alliance Sud, sollten auch Verpflichtungen zur nachhaltigen Entwicklung einschliesslich Durchsetzungsmechanismen enthalten. Die Regelung mit Indien sei nicht berauschend. Zumal nicht alles im Rahmen von Handelsverträgen gelöst werden könne, brauche es zudem nationale Vorschriften zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen im Sinn der am Ständemehr gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative.
Helene Budliger versicherte, gerade in den Verhandlungen mit China bestehe man, unter Hinweis auf ein Referendum in der Schweiz, auf einem «stringenten» Kapitel über Nachhaltigkeitsthemen wie Arbeitsrechte und Klima. Angestrebt werde auch ein Gremium für Streitfälle (Expertenpanel). Generell frage sich allerdings auch: Was wollen wir? Insofern sei es gut, wenn wieder einmal über Freihandel abgestimmt werde.

#Handel #Schweiz-EU

Espresso Diplomatique

Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024,  steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt.   Espresso Nr. 466 | 19.11.2024  

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