Beim Globalen Pakt für Migration abseitsstehen wäre für die Schweiz eine verpasste Chance und mindestens teilweise eine Abkehr von ihrer bisherigen Migrationspolitik. Denn diese beruht auf mehr und nicht weniger internationaler Zusammenarbeit.
In der Schweiz ist eine politische Diskussion über den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration ausgebrochen, der im Dezember 2018 in Marrakesch von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet werden soll. Der Bundesrat wird aufgefordert, den Pakt nicht zu unterzeichnen. Der Pakt räume – so die Gegner – Migranten aus aller Welt weitgehende Rechte zur Migration ein und beseitige das Recht souveräner Staaten, Migrationsfragen selbst zu regeln.
Das ist falsch. Ironischerweise schaden die Kritiker mit ihren Forderungen, den Pakt nicht zu unterzeichnen, eben den nationalen Interessen, die sie angeblich schützen wollen. Die USA, Ungarn und Österreich – Länder, die erfahren haben, dass migrationspolitische Herausforderungen nicht im Alleingang zu bewältigen sind, wollen den Pakt nicht unterschreiben. Dies wird die Verabschiedung des Paktes nicht verhindern. Gleichwohl ist eine sachliche Auseinandersetzung jetzt dringend nötig.
Der Pakt ist nicht aus heiterem Himmel entstanden. Er war eine Reaktion auf die starken Zuwanderungen der Jahre 2015 und 2016 nach Europa, denen gegenüber die EU-Staaten mehr oder weniger hilflos waren. Die betroffenen Staaten – aber auch viele überforderte Regierungen in anderen Weltgebieten – zogen daraus den Schluss, dass Wanderungsbewegungen nicht mehr allein national gesteuert werden können, sondern dass dazu eine dauerhafte und auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten erforderlich ist. Die UNO-Staaten haben sich deshalb 2016 in der New-York- Deklaration darauf geeinigt, einen Prozess einzuleiten, der eine bessere Zusammenarbeit sicherstellt. Der Migrationspakt ist zu unterscheiden vom Pakt über Flüchtlinge, der weit weniger grundsätzlich angelegt ist und der eine bessere Teilung der Verantwortung und konkretere Hilfen in künftigen Flüchtlingskrisen vorsieht.
Zum Wunsch nach einer wirksamen Steuerung der Migration kam die wissenschaftlich gut belegte Erkenntnis, dass sichere, geregelte und legale Migration im Interesse aller Beteiligten liegt – der Herkunftsländer, der Zielländer und der Migranten selbst. In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, wie sehr die Industriestaaten auf Zuwanderung angewiesen sind, um ihre Produktivität und ihren Wohlstand zu halten, und wie wichtig andererseits die Geldtransfers und Investitionen der Migranten für die Heimatländer und für die Verbesserung der Lebenschancen der Familien in der Heimat und mithin für Entwicklung sind.
Irreguläre Migration reduzieren
Diese Erkenntnisse sind in die 23 Ziele des Paktes eingeflossen. Dazu gehört ausdrücklich auch das Ziel, irreguläre Migration und ihre negativen Wirkungen auf alle Beteiligten zu reduzieren. Die Ziele umfassen u.a. das Ausstellen von Dokumenten und fälschungssicheren Pässen, die Bekämpfung des Menschenschmuggels und des Menschenhandels, eine bessere Zusammenarbeit der Staaten bei Grenzkontrollen und bei der Rückübernahme und Reintegration von Migranten, die das Aufnahmeland wieder verlassen müssen. Die Ziele entsprechen genau der aktuellen schweizerischen Migrationspolitik und sie sind kompatibel mit unserer Rechtsordnung.
Der Migrationspakt stellt keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag dar, sondern eine Absichtserklärung, über deren Umsetzung allein die Unterzeichnerstaaten entscheiden. Er ist daher nicht mehr und nicht weniger als ein Gerüst für eine wirkungsvollere Migrationspolitik. Dazu bekräftigt der Pakt noch einmal rechtliche Prinzipien, die die UNO-Staaten ohnehin befolgen müssen, weil sie in völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind. Dazu gehören die Menschenrechte, aber auch die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung.
Wichtig ist der Pakt, weil er den Unterzeichnerstaaten praktische Unterstützung bei der Zusammenarbeitet bietet, vor allem beim Aufbau von Verwaltungsstrukturen, um die Migration besser zu steuern.
An keiner Stelle aber – das kann nicht deutlich genug gesagt werden – greift der Pakt in das Recht von Staaten ein, zu bestimmen, wem sie Zugang zu ihrem Staatsgebiet gewähren. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, fordert der Pakt keine Ausweitung der Migration. Im Pakt steht ausdrücklich, dass die Staaten weiterhin ihre eigenen Regeln aufstellen für Einreise, Niederlassung und Zugang zum Arbeitsmarkt und darüber souverän entscheiden.
Das Abseitsstehen der Schweiz wäre eine verpasste Chance und es wäre mindestens teilweise eine Abkehr von ihrer bisherigen Haltung, dass eine gute Migrationspolitik auf mehr, nicht weniger internationaler Zusammenarbeit beruht. Zudem würde die Schweiz eine Schwächung des internationalen Genf riskieren. Die wichtigsten internationalen Organisationen, in erster Linie die Internationale Organisation für Migration (IOM) und das Uno Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), haben ihren Sitz in Genf.
Praktische Erfolge bei der Reduzierung der irregulären Wanderung und bei der Nutzung der Entwicklungspotenziale von Migration sind der beste Weg, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
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