Würde die Schweiz mit der Konzernverantwortungsinitiative international den Allleingang antreten oder sich dem Trend in anderen Länder anschliessen? Die Fachwelt ist sich nicht einig. Ihre Kontroverse zu verfolgen, lohnt sich.
Eine Warnung zuerst: Für Nicht-Juristinnen und –Juristen bietet die Fachzeitschrift «AJP/PJA, Aktuelle Juristische Praxis» mit ihrer Ausgabe über «Unternehmen und Menschenrechte» keine leichte Kost. Nicht nur wegen des selbstverständlichen Gebrauchs von Fachbegriffen wie «Geschäftsherrenhaftung», «Durchgriffshaftung» «Sorgfaltshaftung» und vieler mehr. Die Argumentationen sind differenziert und subtil. Der Leser und die Leserin sollten sich nicht auf eine Schnelllektüre einstellen.
Doch die Mühe lohnt sich. Die acht Texte von vier Autorinnen und Autoren bieten einen informativen Überblick über die internationalen Entwicklungen im Bereich Unternehmen und Wirtschaft. Es resultiert aber vor allem eine gründlich fundierte Kontroverse über den Gehalt der Konzernverantwortungsinitiative. Es ist geradezu spannend, sich mit den Pro- und Kontra-Argumenten auseinanderzusetzen.
Pro und Kontra
Für Rechtsanwalt Gregor Geisser ist die Initiative geeignet, «um den internationalen Menschenrechtsschutz zu stärken, mehr Rechtssicherheit zu schaffen und durch ein verbessertes Risikobewusstsein der Unternehmen auch betont präventiv zu wirken». Der Basler Privatrechtler Lukas Handschin lässt seiner Abneigung hingegen zuweilen freien Lauf. Ihn stört insbesondere das Ansinnen, die Verantwortlichkeit der Konzerne über die von ihnen kontrollierten Unternehmen wie Tochtergesellschaften hinaus auf die «faktisch auch durch wirtschaftliche Machtausübung» erfolgte Kontrolle zu erweitern. «Dieser Kontrollbegriff ist wirklich missglückt», formuliert der Basler Professor salopp ohne zu fragen, ob sich im Zeitalter globaler Wertschöpfungsketten erweiterte Sorgfaltspflichten aufdrängen könnten.
Die Zürcher Völkerrechtsprofessorin Christine Kaufmann bringt grundsätzlich viel Verständnis für die Stossrichtung der Initiative auf. Doch mit einem «Swiss Finish» geht sie ihr zu weit. Die Schweiz würde ihrer Ansicht nach «im Alleingang Neuland betreten». Die in Rotterdam lehrende Liesbeth Enneking sieht in der Initiative hingegen die Chance für die Schweiz, mit den Entwicklungen in anderen europäischen Ländern in Belgien, Deutschland, Frankreich, in den Niederlanden und in Grossbritannien Schritt zu halten.
Andere Länder gehen voran
Beiden Texten ist aber übereinstimmend zu entnehmen, dass andere Länder bzw. Organisationen im Bereich Unternehmen und Menschenrechte mehr tun als die Schweiz. Kaufmann resümiert die Entwicklungen in Grossbritannien, in den Niederlanden, in Frankreich und in der EU zur Frage der Sorgfaltsprüfungspflichten. Enneking richtet ihren Blick in diesen und weiteren europäischen Ländern auf die Frage der Haftung. Hinzu kommen ergänzend die Beobachtungen von Evelyne Schmid über Verlautbarungen des Europarates und verschiedener UNO-Gremien.
Diese Ausführungen schliessen eine Lücke in der kürzlich publizierten Botschaft des Bundesrates zur Konzernverantwortungsinitiative. Der Bundesrat gibt zwar vor, die internationalen Entwicklungen genau zu beobachten. Doch er tut es nur selektiv und verschleiert damit, wie die Schweiz im Vergleich zu vielen europäischen Ländern regulatorisch zurückfällt.
Es geht aber nicht nur ums Schritthalten mit den internationalen Trends. Darauf verweist Nicolas Bueno in seiner Analyse bisheriger Praxis schweizerischer Zivil- und Strafrechtsfälle, in die mehrere Konzerne verwickelt waren. Sie zeigten das Ungenügen der geltenden Gesetzesbestimmungen.
Auf Schwächen in der strafrechtlichen Haftung für Menschenrechtsverletzungen im Ausland verweist der Korruptionsexperte Mark Pieth. Ausgehend von Beispielen wie Kinderarbeit, Goldplünderung oder Einsturz einer Textilfabrik stellt er fest, dass der Menschenrechtsschutz mit strafrechtlichen Mitteln an die Grenzen der Unternehmenshaftung stosse. Für deren glaubwürdigen Schutz müsse sie auf schwere Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen ausgebaut werden. Ein Thema, das über die Anliegen der Konzernverantwortungsinitiative hinausweist.
Der Trend scheint klar zu sein, wie es die in Lausanne lehrende Spezialistin für internationales Recht, Evelyne Schmid, ausdrückt. Die Staaten müssten aufgrund internationaler Verpflichtungen belegen können, dass sie den Opfern von Menschenrechtsverletzungen durch private Akteure gesetzlichen Schutz bieten. Dieser Pflicht könnten sie sich nicht länger entziehen.
Als Standort vieler weltweit operierender Konzerne ist die Schweiz besonders gefordert. Der unabhängige UNO-Experte Juan Pablo Bohoslavsky hat die Erwartung kürzlich im Zusammenhang mit den Sorgfaltspflichten der Schweiz im Bereich internationaler Finanzfragen auf eine kurze Formel gebracht: «With leadership comes responsibility». Daran wird die Schweiz international gemessen. Zuwarten genügt dafür nicht.
AJP/PJA Aktuelle Juristische Praxis / Pratique Juridique Actuelle, Unternehmen und Menschenrechte, Nr. 8 / 2017, Seiten 927 – 1036, Preis Einzelnummer Fr. 41.-.
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