In einer von SGA/ASPE veranstalteten Aussenpolitischen Aula hat EDA-Staatssekretär Alexandre Fasel erkennen lassen, dass in den Verhandlungen mit der EU über neue und institutionell verstärkte Verträge die Ziele erreicht worden sind. Parlamentsmitglieder, die das Voranschreiten auf dem europapolitischen Mittelweg unterstützen, blickten «zuversichtlich», aber nicht ohne Sorgen voraus auf die Debatte über die Ratifikation.
In den Verhandlungen mit der Europäischen Union sei Licht am Ende des Tunnels zu sehen, auch die Störfeuer aus Seitenstollen nähmen ab, und für beide Parteien gebe es kein Zurück mehr, sagte Alexandre Fasel, Staatssekretär für Auswärtiges, vor der SGA an der Universität Bern. Einzelheiten konnte er nicht ausbreiten und den Entscheid des Bundesrats über das Resultat nicht vorwegnehmen, doch sein Ton liess auf Befriedigung schliessen. Folglich dürfte die Stabilisierung und Weiterentwicklung der bilateralen Vertragsbeziehungen bald auf verbindlicher Grundlage zum innenpolitischen Thema werden.
Fasel stellte die zur Debatte stehenden Abkommen in den Kontext dessen, worum sich die Schweiz seit den Anfängen der europäischen Integration bemüht, nämlich sicherzustellen, «dass wir nicht von unserem eigentlichen [europäischen] Heimmarkt abgeschnitten werden». Zumal in der EU der Freihandel längst in einem Binnenmarkt mit einheitlichen Regeln aufgegangen ist, mussten und müssen die Wege des Nichtmitglieds immer wieder angepasst werden. Das Nein von Volk und Ständen zum Europäischen Wirtschaftsraum 1992 führte zum sektoriellen Bilateralismus. Dessen Logik konnte die Schweiz nach Fasel nun auch in den letzten Jahren durchsetzen, indem sie die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen abbrach und die EU auf den Ansatz einstieg, Fragen wie die Übernahme neuen Rechts, die Streitbeilegung und Subventionen sachspezifisch in den einzelnen Verträgen zu regeln. Heikle Punkte seien jetzt um ein Vielfaches besser geregelt.
Nach langen Abklärungsgesprächen verliefen die Verhandlungen seit dem 19. März 2024 zügig in 14 Strängen und mehr als 190 Verhandlungsrunden. Themen waren die fünf bestehenden und zwei zusätzliche Binnenmarktabkommen (Strom und Lebensmittelsicherheit), die Kooperation in Forschung, Gesundheit und weiteren Bereichen sowie am Schluss der Beitrag zum Abbau von Ungleichheiten in der EU (Kohäsion). Der Bundesrat situiert seine Politik in der Mitte des Integrationsspektrums, das vom blossen Freihandel (Kanada) über mehrere Stufen bis zur EU-Mitgliedschaft reicht. Die Beitrittsfrage, hielt Fasel fest, stelle sich für die Schweiz nicht – womöglich «bis zum Jüngsten Gericht» . . . Was man mache, sei tatsächlich «in gewissem Sinne die eidgenössisch diplomierte Rosinenpickerei», bemerkte er, womit er einen häufigen Vorwurf der EU ins innenpolitisch Positive wandte. Ein Verharren bei den bisherigen, statischen Verträgen würde diese allerdings erodieren lassen.
Wenn die Verhandlungen, wie erwartet, abgeschlossen sind, folgen die Bereinigung und die Übersetzung der Texte, die Unterzeichnung und voraussichtlich ab Ende Mai/Anfang Juni 2025 das Vernehmlassungsverfahren. Im Februar 2026 dürfte der Bundesrat die Botschaft ans Parlament verabschieden, wie Fasel ausführte, und wenn National- und Ständerat die umfangreiche Vorlage in nur zwei Sessionen beraten, könnte die Volksabstimmung im Juni 2027 stattfinden (also relativ kurz vor den Wahlen, was für die Parteien ungünstig ist). Sollte das Parlament die Verträge dem obligatorischen Referendum unterstellen, entfiele die Unterschriftensammlung und käme schon der Februar-Termin in Frage.
Noch im Gang sind die innenpolitischen Gespräche über Umsetzungs- und Begleiterlasse, namentlich das Seilziehen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften um den Lohnschutz. Während es mit den Kantonen gut laufe, sei die Annäherung zwischen den Sozialpartnern «ein zartes Pflänzchen», sagte der Vertreter des EDA diplomatisch. Komme es bis zum Start der Vernehmlassung zu keiner Einigung, werde der Bundesrat zu entscheiden haben.
In einer von Markus Mugglin, Mitglied des SGA-Vorstands, geleiteten Diskussion blickten drei Parlamentsmitglieder auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen innerhalb der Schweiz. Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (Die Mitte), Ständerat Damian Müller (FDP) und Eric Nussbaumer (SP, Vorstandsmitglied der SGA) befürworten alle grundsätzlich die neuen Verträge. Auch zeigten sie sich zuversichtlich – trotz gegnerischen Kräften, die sich auch innerhalb ihrer Parteien regen. Schneider-Schneiter betonte, dass es keine (realistische) Alternative gebe. So würde zum Beispiel ein modernisiertes Freihandelsabkommen auch die Landwirtschaft umfassen und entsprechend Widerstand wecken. Nach einem Nein zur Fortführung des Bilateralismus käme der EU-Beitritt näher.
Offen ist noch, ob das Paket dem Volk zum gesamthaften Entscheid vorgelegt oder etwa über das nicht unumstrittene Stromabkommen separat abgestimmt werden soll. Müller und Nussbauer sprachen sich für das Zweite aus. Einigkeit herrschte darüber, dass gemäss Verfassung nur ein fakultatives Referendum angebracht ist. Politische Schwierigkeiten zeichnen sich nicht zuletzt beim Kohäsionsbeitrag ab, der auf einige hundert Millionen Franken pro Jahr steigen dürfte. Es gehe nicht darum, sich in den Binnenmarkt «einzukaufen», sagte Nussbaumer, sondern um einen Ausdruck von europäischer Solidarität. Auch wirtschaftlich gesehen sei es gut investiertes Geld, ergänzten Schneider-Schneiter und Müller. Weniger klar waren die Antworten auf die Frage aus dem Publikum, was gegen das verbreitete negative Bild der EU zu unternehmen sei. Tatsächlich handelt es sich im weiteren Sinn auch um eine Frage des Vertrauens.
Kein Patriotismus-Monopol
Was die SGA angeht, so machte ihr Präsident, Nationalrat Jon Pult, deutlich, dass sie zwar keine Kampagnen führe, wohl aber eine Haltung habe. Sie trete für eine weltoffene und engagierte Schweiz ein, und so bedeute ein rechtlich abgesichertes Verhältnis zur EU einschliesslich eines gewissen Mitspracherechts einen Gewinn an effektiver Souveränität. So sei denn auch der Patriotismus nicht den Menschen mit einer anderen Vision von der Schweiz zu überlassen.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 469, Januar 2025, stehen die Flüchtlinge aus Myanmar nach Thailand, Indien und Malaysia im Fokus. Der Konflikt destabilisiert die Region, da die Nachbarländer durch überfüllte Flüchtlingslager und fehlende Ressourcen belastet sind. Nr. 469 | 14.01.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.
Infoletter «Schweiz im Sicherheitsrat» abonnieren Alle Berichte FAQ – Schweiz im Sicherheitsrat