Editorial

Ein wichtiger Schritt vorwärts

Der Bundesrat hat die Verhandlungen mit der Europäischen Union abgeschlossen. Gut so, die SGA gratuliert. Noch nicht ausgehandelt sind hingegen die innenpolitischen Begleitmassnahmen. Das ist bedauerlich, denn diese werden letztlich entscheiden, ob eine Mehrheit für das Vertragspaket gewonnen und so der bilaterale Weg weitergeführt werden kann. Der Abschluss der Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel ist aber zweifellos ein wichtiger Schritt hin zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union. Das stimmt optimistisch!

Die Auseinandersetzung im Parlament und der Abstimmungskampf werden eine Herausforderung. Und natürlich werden die fundamentalen Gegner jeglicher Zusammengehörigkeit der Schweiz zu Europa ihre isolationistische Propagandawalze ausfahren. Sie werden die Phase der innenpolitischen Diskussionen nutzen, um die EU als bedrohlichen Feind hinzustellen, der die Schweiz gängeln will. Deshalb gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren und in der öffentlichen Debatte immer wieder ein paar einfache Grundsätze festzuhalten:

  1. Partnerschaft: Die EU ist nicht unsere Gegnerin, sondern unser Nachbarin und unser eigentlicher Heimmarkt. Die neuen Verträge bedeuten keine «Unterwerfung», wie die Gegner sagen, sondern eine Fortsetzung der bilateralen Partnerschaft. Der Bilateralismus ist keineswegs der Liebling der EU, sondern derjenige der Schweiz. Wir haben der EU diese Methode zur Gestaltung der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen aufgezwungen, weil sie der Schweiz bestmögliche Bedingungen erlaubt: eine Partnerschaft auf Augenhöhe, sicherer Marktzugang, grösstmögliche Selbstbestimmung. Auch konservative Geister bejubeln den bilateralen Weg darum als «Königsweg». Schweizerischer geht es nicht!
  2. Rechtssicherheit: Bei den «institutionellen Fragen» im Vertragswerk geht es um Rechtssicherheit, und die gehört in jedem Staat und jeder internationalen Vereinbarung zur fundamentalen Grundausstattung. Im Verhältnis Schweiz-EU hat sie bisher gefehlt, jetzt kommt sie mit der ausgeklügelten Streitbeilegung endlich. Und wie in jedem bilateralen oder multilateralen Vertrag wird als letzte Instanz ein paritätisch besetztes Schiedsgericht vorgesehen. Ein verrechtlichtes Verhältnis ist immer im Interesse der kleineren Partnerin, also der Schweiz.
  3. Souveränität: Die bestehenden bilateralen Verträge sind «statisch». Sie halten einen Zustand beim Abschluss fest und können nur durch mühselige Verhandlungen von Fall zu Fall angepasst werden. Neu werden die Verträge «dynamisiert». Das heisst, dass ihre Aktualisierung endlich zum Normalfall wird. Das ist weit besser als die bisherige laufende Entwertung durch Stillstand. «Dynamisch» bedeutet aber nicht «automatisch». Dynamisch heisst: Wir können zu einer von der EU beschlossenen Neuerung Ja oder Nein sagen. Wenn wir Nein sagen, kann die EU als Vertragspartnerin verhältnismässige Kompensation verlangen (Ausgleichsmassnahmen). Ob eine allfällige Ausgleichsmassnahme wirklich verhältnismässig ist, kann die Schweiz vom paritätischen Schiedsgericht überprüfen lassen. So geht Souveränität!
  4. Wohlstand: Wichtige Bereiche wie das Gesundheitswesen, das Baugewerbe oder die Gastronomie würden ohne die Arbeitskräfte aus der EU kollabieren. Die europäischen Einwanderinnen und Einwanderer zahlen Steuern und zahlen mehr in die Schweizer Sozialwerke ein, als sie von ihnen beziehen. Die Personenfreizügigkeit ist unter dem Strich eine Garantin für das Funktionieren und den Wohlstand der Schweiz. Zudem ist sie keine Einbahn-Strasse: In der EU leben so viele Schweizerinnen und Schweizer wie in der ganzen Ostschweiz.
  5. Patriotismus: Patriotismus ist nicht dasselbe wie Nationalismus. Patriotismus bedeutet, das eigene Land zu lieben. Nationalismus bedeutet, auf andere Länder hinunterzublicken, sie gar zu verachten. Wer patriotisch handeln will, setzt sich dafür ein, dass die Schweiz ein geregeltes Verhältnis zu ihren Nachbarn hat. Denn nur gute Nachbarschaft und geregelte Beziehungen ermöglichen es unserem Land, seine Zukunft und die unseres Kontinents zu gestalten. Die grossen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich ohnehin nur im Verbund europäischer Staaten und Gesellschaften lösen. Isolation und nationalistische Überheblichkeit schaden hingegen unserem Land und seiner Handlungsfähigkeit und sind darum unpatriotisch.

Die SGA wird sich weiterhin für eine sachliche und differenzierte Europadebatte einsetzen. Es ist legitim und notwendig, um die bestmöglichen innenpolitischen Begleitmassnahmen zum Beispiel in den Bereichen Lohnschutz, Service public oder Zuwanderung zu ringen. Gleichzeitig sollten wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Dieses Ziel ist eine geregelte Beziehung der Schweiz mit der EU. Sie ist Voraussetzung für die Zukunftsgestaltung in unserem Land und auf unserem Kontinent. Mit dem Abschluss der Verhandlungen mit Brüssel ist dem Bundesrat ein wichtiger Schritt vorwärts gelungen.

 

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