Pat Cox, früherer Präsident des Europäischen Parlaments, sieht in der heutigen Situation eine Chance und Notwendigkeit, die EU neu zu beleben. In erster Linie gehe es um Leistungen – Antworten auf Probleme und Sorgen der Bevölkerung –, erst danach um institutionelle Reformen.
Bei der Mehrfachkrise der Europäischen Union hielt sich der liberale irische Europapolitiker Pat Cox nicht lange auf, als er an der Universität Bern sprach, an einer gemeinsamen Veranstaltung der SGA, der Delegation der EU in Bern und der von Cox präsidierten Fondation Jean Monnet (Lausanne). Wohl gerade auch weil er die Gefahren ernst nimmt, wandte er sich hauptsächlich den positiven Möglichkeiten zu, die sich in der heutigen Lage ergeben.
Hoffnung auf Frankreich und Deutschland
Im Jahr nach dem Brexit-Entscheid und der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA spürt Cox bereits wieder eine Verbesserung der Atmosphäre. In den niederländischen und den französischen Wahlen (der Vortrag fand zwischen den beiden Runden statt) habe sich die Befürchtung eines Domino-Effekts nicht bestätigt. Populismus und die EU-Gegnerschaft seien vielmehr eingedämmt worden wie schon in Österreich. Ein Weckruf, nicht weiterzumachen wie bisher, bleibe aber diese Bewegung.
Mit dem Austritt Grossbritanniens aus der EU, für dessen Aushandlung sich die Regierung mit einem Wahlerfolg mehr Flexibilität verschaffen dürfte, verliere die Union nicht nur an Bevölkerung und Wirtschaftskraft, sondern auch an interner «leadership». Auffallend deutlich hob Cox hervor, dass er von Frankreich und Deutschland eine Führungsrolle in der EU der 27 erwartet – unter der Annahme, dass Emmanuel Macron Präsident wird, und im festen Vertrauen auf die Europatreue Berlins auch nach den Wahlen im Herbst. Es gehe darum, der Union einen Energieschub zu verleihen, statt sich von Brexit lähmen zu lassen («energise not paralyse»).
Volksabstimmungen vermeiden
Reformen im Bereich der rechtlichen Grundlagen stehen für Cox nicht im Vordergrund. Tiefgreifende Änderungen an den Verträgen könnten in einigen Mitgliedstaaten oder sogar auf EU-Ebene die Ratifikation durch eine Volksabstimmung verlangen. Der Legitimation könnte dies zugutekommen. Die Erfahrungen zeigten aber, dass die nationalen Politiker ihre Wählerschaft oft nicht von den Vorzügen der von ihnen mitgestalteten Entwürfe überzeugen könnten. So bestünde das Risiko, dass mit negativen Voten sogar der Status quo an Legitimation einbüssen würde.
Wenn heute die Herzen und Köpfe der Alltagseuropäer gewonnen werden sollen, dann müsse ohnehin die politische Leistung («delivery») an erster Stelle stehen: das, was die EU in Sachen Energie und Klimawandel, Grenzkontrolle und Migration, Sicherheit, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung konkret tut. Eine Anpassung der Instrumente könne folgen. Jedenfalls brauche die Union die entsprechenden finanziellen Ressourcen, sonst leide ihre Glaubwürdigkeit umso mehr. Gelinge es der EU nicht, Antworten auf die Sorgen und Nöte der Menschen zu finden, könne die Entfremdung der Öffentlichkeit nicht überwunden werden.
«Ein immer engerer Zusammenschluss» gehört nach Cox nicht unbedingt zu einer perfekteren EU. Jener Begriff in der Präambel des Gründungsvertrags bezieht sich ja auf die Völker, nicht auf die Institutionen, wie der Gast in der von Markus Mugglin geleiteten Diskussion verdeutlichte. Auch hält er weder eine entscheidende Stärkung der Gemeinschaftsstrukturen noch eine Reduktion der Aufgaben für realistisch. Nach der Methode Jean Monnets empfehle es sich, gemeinsame Interessen zu suchen und keiner Projektion der Mitgliedstaaten und ihrer jeweiligen Politik auf höherer Ebene zu verfallen. «Das richtige Gleichgewicht» stand denn auch im Titel des Vortrags.
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