Wohldokumentiert und spannend werden im Buch «Konzerne unter Beobachtung» die Auseinandersetzungen zwischen Nicht-Regierungsorganisationen und multinationalen Unternehmen beschrieben und bilanziert.
Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz schrieb vor zehn Jahren: «Für viele Menschen sind multinationale Konzerne zum Inbegriff all dessen geworden, was bei der Globalisierung schief läuft, ja sogar zur Hauptursache» (Die Chancen der Globalisierung, S.237).
Markus Mugglin macht genau diese Problematik zum Kernthema seines neuesten Buches: «Wie haben sich die Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Grosskonzernen verändert und mit welcher Wirkung?» (S. 14).
Der Autor ist in zweierlei Hinsicht besonders befugt, dieses Kernthema mustergültig zu behandeln: Er hat über vierzig Jahre seiner Berufserfahrung nahe an oder mitten in dieser Thematik gearbeitet. Und er ist ein brillanter Recherchier-Journalist, der gekonnt historisches Wissen mit effizientem Zugang zu hochaktuellen Informatik-Quellen zu nutzen weiss.
Zur Geschichte: Vor vierzig Jahren verabschiedete das Schweizer Parlament ein nachhaltiges und wirkungsvolles Gesetz zur Entwicklungszusammenarbeit. Die OECD erliess Leitsätze für Multinationale Unternehmen, die UNO debattierte über eine neue Weltwirtschaftsordnung, die Ölkrise machte Fortschritte der Entwicklungsländer wieder rückgängig und schuf in den reichen Ländern Inflation und Arbeitslosigkeit. Nestlé hatte eben vor Gericht seine Klage gegen die Kampagne «Nestlé tötet Babys» gewonnen.
Und vierzig Jahre später?
SigWatch, ein Unternehmen, das die Kampagnen von 6000 (!) Nichtregierungsorganisationen/NGOs systematisch beobachtet und bewertet, macht Nestlé zum grossen Aufsteiger der letzten zwei Jahre: «2014 hätten die NGOs keinem anderen Unternehmen der Welt so viel Lob gespendet wie Nestlé». Nestlé-Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe bestätigt im Interview mit dem Autor Mugglin: «Heute haben beide Seiten gelernt. Wichtig ist nicht die Konfrontation, sondern das Problem.» (S. 41)
Mugglin zeichnet im ersten Kapitel des Buches die Geschichte dieses wohl berühmtesten Konflikts zwischen einem globalen Unternehmen und sogenannten Nichtregierungsorganisationen/NGOs nach. Er tut es wohldokumentiert, ausgewogen, und er schreibt klar und spannend.
Weitere Schlüsselakteure aus Schweizersicht werden im Buch sorgfältig dokumentiert: Die Rohstoffhändler, die mit dem Buch der Erklärung von Bern (heute: Public Eye), «Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Schweiz» 2011 ins Rampenlicht der öffentlichen Debatte gerückt wurden. Und natürlich durften die Banken nicht fehlen, die das bisher grösste Reputationsrisiko der Schweiz zu verantworten hatten.
Auch formal widerspiegelt das Buch ausgewogen die Interaktionen zwischen Konzernen und NGOs. So finden sich zum Beispiel eingestreut zwei Interviews mit Schlüsselpersonen der beiden Welten: dem bereits erwähnten Peter Brabeck-Letmathe und – gender balanced – der Verantwortlichen für den Bereich Wirtschaft und Menschenrechte bei Amnesty International, Danièle Gosteli Hauser.
Wie sieht nun die Bilanz nach 40 Jahren konfliktreichem Dialog über Verantwortung der Konzerne für Umwelt und Menschenrechte aus?
1999 hielt der UNO-Generalsekretär Kofi Annan am Weltwirtschaftsforum in Davos eine vielbeachtete und wirkungsreiche Rede mit der Kernforderung «Give a human face to the global market». Es war der Auftakt für den UNO-Global Compact. Es sind zehn Gebote für universelle Menschenrechte, für soziale Arbeitsrechte (z.B. Abschaffung von Kinderarbeit) und für international vereinbarte Umweltziele (S. 155). Die Schweiz tat sich besonders hervor, um den schönen Worten Taten folgen zu lassen. Die Debatte bleibt aber akut: Freiwillige oder bindende Richtlinien (S. 150)? Eine breite Koalition von schweizerischen NGOs aus dem Entwicklungs-, Umwelt- Menschen- und Frauenrechtsbereich, kirchlichen und gewerkschaftlichen Vereinigungen sowie Aktionärsverbänden reicht im Oktober 2016 die Konzernverantwortungsinitiative ein (S.136). Sie wird die Wirtschaftsdebatte über einklagbare Verantwortung ab nächstem Jahr beeinflussen.
Der Autor formuliert zum Schluss eine gemischte Bilanz von Fortschritt und Stagnation. Aber sein ganzes Buch ist ein Beweis für die Grundthese der beiden Bücher des Nobelpreisträgers Joseph Stiglitz: Es gibt «Schatten» und es gibt «Chancen» der Globalisierung. Konzerne mit Weitsicht erkennen in der sozialen und ökologischen Verantwortung Chancen, und die global stark vernetzten NGOs verschaffen sich in diesem Weltdialog eine wirkungsvolle Stimme.
Markus Mugglin, Konzerne unter Beobachtung. Was NGO-Kampagnen bewirken können. Rotpunktverlag, 2016, 205 Seiten, Fr. 29.-
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