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Bundesrat lebt in einer Parallelwelt

Der Bundesrat hat schlecht entschieden und die bestehende europapolitische Zielsetzung über Bord geworfen. Anstatt den Bilateralen Weg mit einem institutionellen Rahmenvertrag zu konsolidieren und zukunftsfähig zu machen, will er etwas konzeptlos mit sich selber den «Bilateralen Weg» dynamisieren. Er irrt umher, wie wenn er in einer Parallelwelt leben würde. Fünf Irrtümer in dieser Parallelwelt:
1.Europäische Integration geht nur dynamisch
Die europäischen Länder gestalten miteinander europäische, grenzüberschreitende Rechtsgrundlagen. Staatenübergreifende Rechtsvorschriften – multinationale Gesetze – sind der Kern der europäischen Integration. Die sektorielle Integration erfolgt über einzelne bilaterale Verträge. Allerspätestens seit der Schaffung des Binnenmarktes sollte man das verstanden haben. Nicht so in der Parallelwelt des Bundesrates. «Man will die Bilateralen innenpolitisch sichern» wird verkündet. Man verkennt, dass man bilaterale Verträge nicht mit sich selbst dynamisieren kann.
2.Die Parallelwelt erfindet Auffangmassnahmen
In der bundesrätlichen Parallelwelt hat man jetzt ein neues Wort erfunden: Man sorgt sich um Auffangmassnahmen. Zuerst den Bilateralen Weg wissentlich zerstören und erodieren lassen und dann von Auffangmassnahmen reden. So erscheint auch eine aussenpolitisch unfähige Regierung noch als helfende Hand für den eigenen Wirtschaftsstandort. Aber diese Oberflächlichkeit wird durchschaut werden. Es schwächt die Politik erheblich, wenn man nach sieben Jahren Verhandlungen plötzlich so tut, wie wenn es noch eine bessere Lösung gäbe: Die aktive Zerstörung des Bilateralen Weges mit Auffangmassnahmen.
3.Der Europäische Gerichtshof bleibt
Die Schweizer Gewerkschaften leben auch in einer Parallelwelt. Während man sich europäisch einig ist, dass der Missbrauch bei den Arbeitsbedingungen in einem grenzüberschreitenden Binnenmarkt nicht einzelstaatlich bekämpft werden kann, setzen sie auf Feindbilder der übleren Sorte: Das Gericht der europäischen Staatengemeinschaft sei kein unabhängiges Gericht und richte sich gegen Arbeitnehmende. Sie kämpfen mit Feindbildern für eine Eigenständigkeit, die es so nie gegeben hat. Sogar beim Abschluss des Freizügigkeitsabkommens haben wir explizit erwähnt, dass wir die Entscheide des EuGH bis zum Abschluss des Vertrages akzeptieren. Warum sollte dies heute nicht mehr so sein? Der Europäische Gerichtshof bleibt, auch wenn die Parallelwelt so tut, wie wenn er ausgeschlossen werden könnte.
4.Die EU braucht die Schweiz
Wenn wir gar nicht mehr weiter wissen, dann betonen wir die Handelszahlen. Ja natürlich, die EU braucht uns doch. Sie will ja auch Produkte verkaufen. In der Parallelwelt hat man die Vorstellung, man könnte die Handelsströme in die Schweiz hinein begrenzen. Das ist kompletter Wahrnehmungsstillstand. Die Schweiz will primär die Exportchancen nutzen und braucht sie auch, sonst ist die Wohlfahrt des Landes gefährdet.
5.Den Bruch zelebrieren
In der Parallelwelt des Bundesrates hat es auch etwas Boulevard. Man will zeigen, dass noch etwas Willhelm Tell in uns steckt. Widerstand. Darum zelebriert man gerne den Bruch. Aber der Bruch schadet dem Land. Weil wir so reich sind, können wir uns das dennoch immer wieder anscheinend «leisten». Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. So wird es auch mit diesem überhöhten Selbst-Verständnis sein. Die Parallelwelt ist nicht zukunftsfähig.
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