In einer Aussenpolitischen Aula an der Universität Zürich hat Bundesrat Beat Jans begründet, wieso der bilaterale Weg der Europapolitik stabilisiert und weiterentwickelt werden müsse und könne. Zentrale Argumente waren eine grössere Rechtssicherheit in den Beziehungen mit der EU und der Wohlstand, der stark vom Austausch mit dem Ausland abhängig ist.
In der europapolitischen Diskussion scheinen derzeit prononcierte Gegner verbindlicherer Beziehungen zur EU zu dominieren. Die meisten Mitglieder der Landesregierung und andere Akteure halten sich eher zurück, bis die Verhandlungen abgeschlossen sind. Engagiert zeigt sich indessen Bundesrat Beat Jans, der als sozialdemokratischer Basler für das Thema besonders sensibilisiert und als Chef des Justiz- und Polizeidepartments für Migration wie auch für institutionelle Fragen zuständig ist. Auf Einladung der SGA und des Europa-Instituts an der Universität Zürich hat er deutlich gemacht, von welcher Bedeutung die bereits fortgeschrittenen Verhandlungen mit Brüssel sind. Dem Vortrag folgte eine längere, von der «Republik»-Redaktorin Priscilla Imboden geleitete Diskussion
Dass ein Gastbeitrag von Jans in der NZZ im Sommer einen Wirbel ausgelöst hat, auf den er selber in seiner Rede gleich eingangs anspielte, mag illustrieren, wie wenig in der Europapolitik noch als Selbstverständlichkeit zu gelten scheint. In Zürich hielt Jans nun vorerst nochmals fest, welche Ziele der (Gesamt-)Bundesrat erreichen will. Namentlich geht es um den hindernisfreien Zugang zum Binnenmarkt der EU. Heute sind schweizerische Unternehmen teilweise nicht mehr gleichberechtigt, weil die bilateralen Regelungen nicht mehr aufdatiert werden, so dass die Zertifizierung von Exportprodukten zusätzliche Kosten und administrativen Aufwand verlangt. In dieser Situation liessen sich beispielsweise Start-up-Firmen eventuell lieber im grenznahmen Ausland nieder, sagte Jans.
Die dynamische Übernahme von neuem EU-Recht würde die Hindernisse beseitigen. Die Schweiz könnte zudem bei der Gestaltung neuer Regeln mitreden, behielte aber auch die Möglichkeit, diese im demokratischen Verfahren abzulehnen, wobei sie Ausgleichsmassnahmen in Kauf zu nehmen hätte. Zugleich würde eine Einigung mit Brüssel den Weg zu einem Stromabkommen und zur Beteiligung an weiteren Kooperationen öffnen. An die gegenwärtige Einschränkung des Zugangs zum Forschungsprogramm «Horizon» hatte in seiner Begrüssung Universitätsrektor Michael Schaepman erinnert. Ein Ausschluss aus Teilen des europäischen Wettbewerbs in der Wissenschaft könne mit (nationalem) Geld nicht aufgewogen werden.
Bundesrat Jans an der AULA der SGA (Foto Lukas Zingg)
Eine politisch heikle Seite der wirtschaftlichen Integration ist bekanntlich die Personenfreizügigkeit. Der Bundesrat insistiert darauf, dass sie arbeitsmarktorientiert bleibt, dass also primär nur zuziehen darf, wer eine Stelle hat. Zudem müssten Löhne und Arbeitsbedingungen wirksam geschützt sein. Eine solche Zuwanderung entspricht nach Jans einer ökonomischen Notwendigkeit, zumal sich der Fachkräftemangel noch zuspitzen dürfte. Die Schweiz sei auch deshalb innovativ, weil Menschen mit ihrem Wissen ins Land kämen und dieses ihnen eine Chance gebe.
Der Skepsis gegen die Freizügigkeit will der Bundesrat auch mit innenpolitischen Massnahmen Rechnung tragen, so etwa im Wohnungswesen oder bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Als eine Art Notbremse steht eine Schutzklausel im Abkommen mit der EU zur Diskussion. «Die Verhandlungen laufen, bis sie abgeschlossen sind», sagte Jans dazu. Dass die EU eine «einseitige» Klausel ablehnt, überrasche nicht, und dass der Kommissar Maros Sevcovic dies kürzlich öffentlich bestätigt habe, erkläre sich vielleicht als Signal an die Mitgliedstaaten, dass die Kommission hart verhandle. Die EU habe der Schweiz bei der Migration bereits Ausnahmen zugestanden, verstehe aber (angesichts gewisser schrumpfender Regionen in Europa) tatsächlich nicht immer, was unser Problem sei. Der schweizerische Wohlstand beruhe nicht auf Abschottung, resümierte Jans. Die 10-Millionen-Schweiz-Initiative der SVP ist gemäss Bundesrat denn auch eine Gefahr für die Wirtschaftsentwicklung und die Sicherheit.
Als «den» Grund für eine Stabilisierung der Beziehungen zur EU nannte der Justizminister die Rechtssicherheit. Verbindliche Regeln, auf die man sich auch in ausserordentlichen Situationen verlassen könne, seien für beide Partner wichtig. Da solche Vereinbarungen bisher fehlten, habe die Schweiz einseitige Massnahmen Brüssels im Bereich der Börse, der Forschung und der Medtech-Produkte nicht verhindern können. Die nun vorgesehene Streitschlichtung durch ein Schiedsgericht schliesse Willkür und Machtpolitik aus. Mit den Verträgen stärkten wir insofern unsere Souveränität.
Jans ist sich der Widersprüche im Verhältnis zum grossen Nachbarn bewusst: Wir profitieren von vielem, verpflichten uns aber ungern und schielen auf den Alleingang. Mehrere Fragen galten denn auch den innenpolitischen Chancen der neuen Verträge. Jans relativierte manche Widerstände als taktische Manöver, er hofft auf eine parteiübergreifende lösungsorientierte Gruppierung im Parlament, und als jemand von ihm forderte, die Jugend zu begeistern, erwiderte er, man solle nicht auf den Bundesrat warten, sondern selber in die Hosen steigen. Die Kompass-Initiative, die ein obligatorisches Referendum (mit Ständemehr) über das Verhandlungsergebnis fordert, deutete er als Zweifel der Vertragsgegner, ein Volksmehr in ihrem Sinn erreichen zu können. Zu den längerfristigen Perspektiven der Europapolitik äusserte sich der Redner regierungskollegial vorsichtig. Zuerst müsse das gegenseitige Vertrauen wachsen. Chancen wie jetzt werde es wahrscheinlich nicht mehr so viele weitere geben.
Klartext wollte Nationalrat Jon Pult, Präsident der SGA, reden, auch wenn diese keine Kampagnen führe. Er sieht die Schweiz als engagiertes Land, das nicht den Sirenengesängen der Isolation verfallen darf. Die Personenfreizügigkeit sei eine enorme Errungenschaft. Zu fragen sei auch, was Souveränität in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit und in einem zusammenwachsenden Europa bedeute. Mitbestimmung und Rechtssicherheit zieht Pult einer zunehmend nur formellen Selbstbestimmung offenkundig vor.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
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