Lesetipp

Bankgeheimnis – bis zum bitteren Ende

100 Jahre lang hielt das Bankgeheimnis Anfechtungen stand. Warum es plötzlich nicht mehr möglich war, legt der Historiker Stefan Tobler kenntnisreich dar. Seine Analyse über das Ende des Bankgeheimnisses ist zugleich ein Lehrstück dafür, wie aufgeschaukelter Finanzpatriotismus realitätsblind macht.

Die Kampfansage „An diesem Bankgeheimnis werdet ihr euch noch die Zähne ausbeissen“ im März 2008 des damaligen Finanzministers Hans-Rudolf Merz hallt noch lange nach. Prägnanter lässt sich die kolossale Fehleinschätzung im Streit um das Bankgeheimnis gar nicht formulieren. Denn wenige Monate später erwies sich die Drohung als peinlicher Bluff.

Im Nachhinein mag sie amüsant wirken, nach der Lektüre des fast 800 Seiten dicken und mehr als anderthalb Kilogramm schweren Buchs «Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis» des Historikers Stefan Tobler und ehemaligen Leiter Strategie bei der Schweizerischen Bankiervereinigung stellt sich aber sogar so etwas wie Verständnis für den flotten Spruch ein. Denn sehr lange war der Kampf erfolgreich. Warum sollte plötzlich nicht mehr gelingen, was vorher 100 Jahre lang gelungen war?

In den 1920er Jahren galt es der im Völkerbund geäusserten Kritik zu widerstehen, in den folgenden Jahren den Angriffen des grossen Nachbarn Frankreich, nach dem Zweiten Weltkrieg jenen aus den USA, ab den späten 1970er Jahren der Kritik der OECD, welche die immer raffinierteren Methoden der Steuervermeidung beklagte und ab Ende des Kalten Krieges der Dauerkritik von fast überall her.

„Ballast abwerfen“, um den Kern zu bewahren
Die Schweiz reagierte lange Zeit erfolgreich mit einer Strategie des „Ballast abwerfen“. Detailreich und dennoch leicht lesbar zeichnet Tobler die Etappen dieser Strategie nach und erläutert, wie es immer wieder gelang das Ausland zu besänftigen. Mal machte die Schweiz durch die Ausweitung von Amtshilfe eine Konzession gegenüber den USA, mal gegenüber der EU durch ein Abkommen über Zinsbesteuerung. Im Nachgang zu den in der Schweiz parkierten Milliarden des philippinischen Diktators Marcos wurden neue Regeln im Umgang mit Potentatengeldern erlassen, es folgten Massnahmen gegen die Geldwäscherei.

„Ballast abwerfen“ erwies sich über Jahrzehnte hinweg als Erfolgsrezept. Das Bankgeheimnis schien in seinem Kerngehalt gesichert zu sein. Darum ging es den Banken. Sie wollten die weltweit führende Position im grenzüberschreitenden Vermögensverwaltungsgeschäft erhalten. Denn viel stand auf dem Spiel, auch wenn der Umfang der Fluchtanlagegelder unterschiedlich hoch geschätzt wurde. Vor dem Fall des Bankgeheimnisses sollen die Fluchtanlagegelder mindestens 600 Milliarden Franken betragen haben. Manche Insider haben sie aber auf doppelt und noch höher veranschlagt.

Um dieses Geheimnismodell zu sichern, zeigten sich die Banker auch erfinderisch. Sie nützten zum Beispiel die als Konzession getarnte Zinsbesteuerung für die EU-Staaten dazu aus, neue Schlupflöcher für ausländische Steuerpflichtige zu schaffen.

Unter «normalen» Bedingungen hätte die Finanzbranche wohl noch lange nicht nachgeben müssen. Doch zwei aussergewöhnliche Dinge führten zur dramatischen Wende, diagnostiziert der Autor. „Der in einer globalisierten Öffentlichkeit aufgebaute Druck ist eine notwendige Bedingung. Der entscheidende und letztlich hinreichende Grund dafür liegt aber in den Verstrickungen der UBS in einen Steuerfall in den USA.“ Damit verbunden war ein Erpressungspotenzial, dem die Schweiz nichts entgegenzusetzen hatte, wollte sie nicht den Untergang von Banken riskieren.

Bankgeheimnis als Lehrstück
Der Autor Tobler wertet den Streit um das Bankgeheimnis mit guten Gründen als Lehrstück. Sein Verlauf sollte deshalb dazu dienen, künftiges Handeln bei aussenpolitisch sensiblen Themen zu reflektieren. Eine Lehre sollte sein, sich auf unbequeme Fragen einzulassen, statt sie zu verdrängen. Eine andere betreffe die zu schaffenden Rahmenbedingungen. Sie sollten so gestaltet sein, dass sie unter Gesichtspunkten der Fairness auch unter ausländischem Druck zu verteidigen wären.

Ob die Politik fähig ist, die Lehren aus dem Bankgeheimnis-Drama zu ziehen? Ein Anzeichen sieht Tobler ausgerechnet bei SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der sich vom Saulus zum Paulus gewandelt habe. Als Finanzminister sei er zum realpolitischen Verfechter globaler Standards und Regeln geworden. Er klinkt sich in die internationalen Trends ein, neuerdings sogar bei der Verknüpfung von Finanzanlagen mit Kriterien der Nachhaltigkeit.

Auch beim Rohstoffhandel, bei dem die Schweiz eine höchst delikate Sonderrolle auf globaler Ebene spielt, werden zuweilen Warnungen laut mit Bezug zum Fall Bankgeheimnis. Doch hier verhallen die unbequemen Fragen meist noch immer folgenlos. Ob die Lehren aus dem Bankgeheimnis-Drama gelernt werden, ist also noch offen.

Stefan Tobler, Der Kampf um das Schweizer Bankgeheimnis, Eine 100-jährige Geschichte von Kritik und Verteidigung, NZZ-Libro, 2019, 778 Seiten, Preis: Fr. 68.00

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