Kolumne

Der vergessene Krieg in Myanmar und die Schweiz

Eine vergessene Krise: Vor drei Jahren, am 1. Februar 2021, putschte sich das Militär in Myanmar an die Macht, nachdem es die nationalen Wahlen deutlich verloren hatte. Es folgte ein äusserst blutiger Bürgerkrieg, der bis heute über 15’000 Menschenleben gefordert hat. Trotz anhaltender schwerer Menschenrechtsverletzungen seitens des Militärs ist der Konflikt weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden.

Bereits 2017 waren Hunderttausende Angehörige der muslimischen Minderheit der Rohingya gewaltsam aus dem Rakhine State in Myanmar ins benachbarte Bangladesch vertrieben worden. Seither leben die Rohingya unter unwürdigen Bedingungen, ohne Perspektive im weltgrössten Flüchtlingslager im Süden Bangladeshs – in einem Land, das selbst mit Armut und den Folgen der Klimakrise zu kämpfen hat. Eine Rückkehr der Rohingya nach Myanmar erscheint zunehmend unrealistisch.

88 Empfehlungen aus dem Jahr 2016

Was ist zu tun? 2016 wurde der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan von der Regierung Myanmars beauftragt, Lösungsvorschläge für den Konflikt im Rakhine-Staat zu erarbeiten. Seine Kommission legte 88 Empfehlungen vor. Ein zentraler Aspekt war die Rückgabe der Staatsbürgerschaft an die staatenlosen Rohingya, die ihnen 1982 entzogen worden war. Der Bericht unterstrich die entscheidende Rolle der Regierung Myanmars und des Verbands südostasiatischer Nationen (Asean). Seither hat sich die Situation grundlegend verändert; die Überarbeitung des Annan-Berichts ist dringend nötig. Dieser schlug die gleichberechtigte Beteiligung der buddhistischen Rakhine und der muslimischen Rohingya vor, doch leben heute in der Region kaum noch Muslime. Er betonte die Mitwirkung staatlicher Behörden, doch seit dem Putsch gibt es in Myanmar keine international anerkannte Regierung mehr. So fehlt heute eine von allen Seiten anerkannte Grundlage für eine freiwillige und nachhaltige Rückkehr der Rohingya nach Myanmar.

Die Schweiz leistet in Bangladesh und Myanmar humanitäre Hilfe. In Myanmar unterstützt sie die notleidende Zivilbevölkerung. In Bangladesch sorgt die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit seit Jahren in den Rohingya-Lagern für bessere Lebensbedingungen, unter anderem mit Bildungsangeboten für Kinder. Es ist offensichtlich, dass diese Hilfe das enorme Leid zwar lindern, das eigentliche Problem aber nicht lösen kann. Dazu braucht es eine politische Lösung.

Was die Schweiz tun könnte

Dank ihrer aktuellen Mitgliedschaft im UNO-Sicherheitsrat, ihrer diplomatischen Präsenz in beiden Ländern und ihrer langjährigen Entwicklungszusammenarbeit ist die Schweiz wie kaum ein anderer Staat in der Lage, zu einer Lösung dieser humanitären Tragödie beizutragen. Um Bewegung in die Rohingya-Frage zu bringen, müsste sie auf eine Verbesserung der Bedingungen im Rakhine State hinwirken. Hierfür könnte sie über ihre diplomatischen Kanäle eine Überarbeitung des Annan-Berichts unter Leitung der Asean vorschlagen – diese könnte alle relevanten Akteure einbeziehen, inklusive der Rohingya. Damit würde die Schweiz ihrer Verpflichtung gerecht werden, vergessene Krisen anzugehen und eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern.

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Der vorliegende Text wurde als Gastbeitrag vom Tagesanzeiger veröffentlicht. Alt-Botschafter René Holenstein ist Autor des Buches «Mein goldenes Bengalen» und Mitglied der SGA.

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