Kolumne

Teilnahme am EU-Binnenmarkt oder Freihandelsabkommen?

Neben der Teilnahme am EU-Binnenmarkt – via bilaterale Abkommen, dem EWR oder dem Beitritt – wird regelmässig ein neues Freihandelsabkommen (FHA) oder die Anpassung des bestehenden als Möglichkeit genannt, um die Beziehungen der Schweiz zur EU zu gestalten. Dabei wird der Eindruck erweckt, damit könnten die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit beibehalten, die ungeliebten institutionellen Konsequenzen einer Teilnahme am Binnenmarkt jedoch vermieden werden. Als Beispiele werden die FHA der EU mit dem Vereinigten Königreich und mit Kanada angeführt, die nicht auf EU-Recht basieren und in denen der Europäische Gerichtshof keine Entscheidungsbefugnis hat. Ein konkreter Vorschlag für ein solches Abkommen, der die anvisierten Ziele enthält, steht jedoch aus.

Wer sich etwas vertiefter mit dieser Frage beschäftigt, wird feststellen, dass FHA und Binnenmarkt verschiedene Formen der Zusammenarbeit darstellen. Auch wenn sich erstere von der ursprünglichen Beschränkung auf den Abbau der Zölle und mengenmässigen Beschränkungen weiterentwickelt haben und neben dem Warenverkehr Themen wie Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen, Immaterialgüterrecht und Wettbewerb beinhalten, ist die dadurch geschaffene Zusammenarbeit weit von derjenigen des EU-Binnenmarkts entfernt. Dieser wurde über Jahrzehnte hinweg von einer Zollunion mit einer gemeinsamen Aussenhandels-und Agrarpolitik hin zu einem Markt entwickelt, in dem Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital frei zirkulieren können. Die in den 1980er Jahren geschaffenen Grundregeln bildeten die Basis für die Währungs- und die politische Union und bestanden auch den Test der Erweiterung der Mitgliedschaft auf 28 Staaten. Sie wurden später mit sozialen Regeln zugunsten der Arbeitnehmer und Konsumenten angereichert und bilden auch heute noch das wirtschaftspolitische Grundgerüst der Europäischen Union. Neue Mitglieder hatten den Besitzesstand zu übernehmen, konnten aber im Gegenzug von den Vorteilen eines umfassenden Marktes von 450 Millionen Einwohnern profitieren.

Es ist nachvollziehbar, dass sich auch Nichtmitglieder für eine Zusammenarbeit mit diesem grossen Markt interessierten. Dafür steht primär die Form der FHA zur Verfügung, in denen die EU und interessierte Partner gemeinsame Grundsätze und Regeln für die Liberalisierung der Wirtschaftsbeziehungen aushandeln. Eine Teilnahme am Binnenmarkt, um die sich die Schweiz und andere europäische Länder bewarben, stellt jedoch komplexere Fragen. Die EU war zwar bereit, mit ausgewählten Partnern «binnenmarktähnliche Verhältnisse» zu schaffen, jedoch nur unter bestimmten Konditionen, die sich vor allem während der EWR-Verhandlungen herausbildeten. Sie wollte sicherstellen, dass die interne Weiterbildung der einschlägigen Regeln nicht gefährdet würde und sich auch Nichtmitglieder an diese Regeln hielten. Damit sollten die Rechte und Pflichten von Mitgliedern und Nichtmitgliedern klargestellt werden. Auch hielt sie es für notwendig, dass sich alle Teilnehmer an die gleichen Regeln hielten, um die Homogenität des gemeinsamen Marktes nicht zu gefährden.

Die Schweiz hat als EFTA-Mitglied und Partnerin in zahlreichen FHA offensichtlich eine Vorliebe für diese pragmatische Form der Zusammenarbeit. Auch gegenüber der EU ging sie 1972 diesen Weg. Das änderte sich mit der Schaffung des EU-Binnenmarktes Ende der 1980er Jahre. In den EWR-Verhandlungen und anschliessend in den Bilateralen I und II visierte sie eine umfassende (EWR) und partielle (Bilaterale) Teilnahme an diesem grossen Markt an. Nicht erst seit diesen Verhandlungen weiss sie, dass dies mit gewissen Konditionen verbunden ist. Bereits während eines Assoziationsversuches in den 1960er Jahren und anlässlich der FHA-Verhandlungen von 1972 wurde diese Thematik angesprochen.

Gibt es nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen durch den Bundesrat im Mai 2021 zwingende Gründe, an Stelle einer Teilnahme am Binnenmarkt ein umfassendes FHA abzuschliessen? Eine Antwort auf diese Frage sowie eine ausführlichere  Behandlung der oben angesprochenen Themen bietet der volle Text dieses Beitrags, der auf der Webseite des Europa-Instituts Zürich als «Standpunkt» eingesehen werden kann (siehe unten). Hier nur so viel: es muss davon ausgegangen werden, dass die EU auf einem «level playing field» und weiteren Forderungen beharren würde, womit Vorteile, die sich Befürworter einer solchen Lösung versprechen, zunichte gemacht würden. Bezüglich des Marktzugangs würde ein FHA einen signifikanten Rückschritt gegenüber dem bereits Erreichten darstellen, und die Verhandlungen für ein FHA hätten eine jahrelange Phase der Unsicherheit im Verhältnis zu unserem wichtigsten Partner zur Folge. Der Schluss drängt sich auf, dass nur eine weitere Teilnahme am EU-Binnenmarkt für die Zukunft der Schweiz erfolgversprechend ist.


*Dr. Hanspeter Tschäni, ehem. Botschafter, war bis zu seiner Pensionierung Ende 2012 Leiter des Ressorts Internationales Wirtschaftsrecht im SECO und hat in verschiedenen Funktionen an zahlreichen Verhandlungen mit der EU und anderen Wirtschaftspartnern der Schweiz teilgenommen. Der Text ist eine Kurzfassung eines auf der Webseite des Europa-Instituts der Universität Zürich publizierten «Standpunkts». («Teilnahme am EU-Binnenmarkt oder umfassendes Freihandelsabkommen?»)

#Europa #Handel #Schweiz-EU

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