Im Environment of Peace-Bericht analysiert SIPRI, wie im Kontext der Wechselwirkungen zwischen Klima-, Umwelt- und Sicherheitsrisiken Frieden gefördert werden kann.
Sicherheit und Klimaveränderung, Konflikte und Umweltzerstörung, Ressourcen- und Friedenspolitik hängen zusammen. Wie sehr, führt derzeit der russische Angriffskrieg vor Augen. Zum einen vollzieht Europa angesichts der kriegsbedingten (aber auch durch die verschleppte Dekarbonisierung verstärkten) Energieunsicherheit einer Kehrtwende in der Klimapolitik. Zum anderen untergraben Getreide- und Düngemittelengpässe die weltweite Ernährungssicherheit – noch verstärkt durch den Exportstopp Indiens, mit der die Regierung auf die beispiellose, durch die Klimaveränderung verstärkte Dürre reagierte. Betroffen sind insbesondere die vom Getreideimport abhängigen Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas.
«Neue Ära der Risiken»
Diese Zusammenhänge (die Fachwelt spricht von «Nexus») analysiert das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI im neuen Environment of Peace-Bericht. Er stellt fest, dass die Kombination von zunehmender Unsicherheit und Umweltzerstörung die Welt, aber vor allem Regionen, die bereits durch Armut und schlechte Regierungsführung beeinträchtigt sind, in eine «neue Ära der Risiken» führt. Die politische Reaktion darauf scheint allerdings unzureichend. Klima- und Umweltveränderung verschärfen Konfliktsituationen (und umgekehrt) oft kaskadenartig und über entfernte Regionen hinweg, wenngleich meist indirekt, wie beispielsweise über die Erosion von Lebensgrundlagen oder neue Migrationsströme.
Der Bericht illustriert die komplexen Risikoketten mit Fallstudien aus verschiedenen Weltregionen. Drastisches Beispiel ist Haiti – eines der ärmsten Länder Amerikas: Zwei Monate nach der Auflösung des Parlaments im Januar 2020 reagierte die Regierung inmitten öffentlicher Unruhen auf die ersten COVID-19-Fälle mit Betriebsschliessungen, nächtlichen Ausgangssperren und Reisebeschränkungen. Die erlahmende landwirtschaftliche Produktion trieb die Lebensmittelpreise in die Höhe. Nur Monate später zerstörte Tropensturm Laura 50-80 % der Ernten im Südosten des Landes und legte die Stromversorgung von Krankenhäusern lahm. Dieselbe Region wurde ein Jahr später erneut von Unwettern heimgesucht.
Tücken der ökologischen Transformation
Was aus globaler Sicht geschehen müsste, erscheint zunächst plausibel: Bis in acht Jahren 30% des Landes unter Naturschutz stellen; Bäume pflanzen, um Kohlendioxid zu absorbieren; erneuerbare Energien fünfmal schneller als bisher ausbauen. Aber das Land, das für die Natur und die Kohlenstoffspeicherung reserviert werden soll, ist bewohnt – die Aufforstungsversprechen des Shell-Konzerns allein benötigen eine Fläche der Grösse Indiens. Menschen haben Jobs in der fossilen Wirtschaft. 80% der biologischen Vielfalt liegt in Gebieten, die von Indigenen Gemeinschaften bewohnt und seit Jahrtausenden erfolgreich verwaltet werden.
Wenn gesellschaftliche Risiken ungenügend in Planung und Durchführung einfliessen, kann die doch dringende ökologische Transformation neue Konflikte generieren. Wie also können neue geopolitische Verwerfungen beim Übergang vom fossilen zum erneuerbaren Energiezeitalter vermieden, Ökosysteme wieder aufgewertet werden ohne dabei die Lebensgrundlagen vieler zu untergaben?
Der Bericht nimmt Fehlentwicklungen der Vergangenheit unter die Lupe; von bewaffneten Vertreibungen für Naturschutzpärke oder Staudämme, über Klimaanpassungsmassnahmen zulasten marginalisierter Gruppen, bis hin zum ‹biofuels rush’ der Nullerjahre.
Empfehlungen für eine zukunftsweisende, integrierte Umwelt- und Sicherheitspolitik
Der SIPRI-Bericht postuliert, dass Umwelt- und Sicherheitspolitik zusammen gedacht werden müssen. Umweltmassnahmen sind stets auch auf Friedensförderung auszurichten, und umgekehrt. Dies bedingt, institutionelle Silos und mentale Blockaden zu überwinden und einen «Whole-of-Government»-Ansatz anzustreben. Statt kurzfristige Krisenreaktion müssen Regierungen umfassende, alle Sicherheitsaspekte miteinbeziehende Lösungsansätze verfolgen. Langfristige Visionen müssen dabei mit proaktivem, faktengestütztem politischem Handeln im Jetzt kombiniert, die Politik laufend auf Umwelt- und Sicherheitsrisiken überprüft werden.
Der internationalen Kooperation kommt bei alledem eine Schlüsselrolle zu, da sich grenzüberschreitenden Multikrisen offensichtlich nicht mit nationalen Ansätzen angehen lassen. Gleichzeitig müssen Menschen auf lokaler Ebene sinnvoll in Entscheidungen und Handlungen einbezogen werden, die sie betreffen.
Wir müssen erkennen, dass Sicherheitsrisiken weit über das Militärische hinausgehen können, und dass Investitionen in Sicherheit und Frieden nicht nur den Ausbau militärischer Kapazitäten und die Verteidigung der Grenzen bedeutet.
Auf verschiedenen Ebenen sind bereits Fortschritte zu verzeichnen. In mehreren UNO-Erklärungen wird die wechselseitige Abhängigkeit von Umweltintegrität und Sicherheit anerkannt, ebenso in Gremien wie der Afrikanischen und der Europäischen Union sowie dem Verband Südostasiatischer Nationen. Zahlreiche grassroot-Initiativen schaffen gleichzeitig an Frieden, Verständnis und Umweltbewusstsein. Die integrale UNO-Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung sollte Anlass zur Hoffnung geben.
Relevanz für die Schweiz
Der Bundesrat hat «Klima und Sicherheit» zu einer Priorität für den Einsitz der Schweiz im UN-Sicherheitsrat bestimmt. Mit diesem weitsichtigen Schritt reagiert die Schweiz nicht nur angemessen auf immer drängendere (Sicherheits-) Fragen, sondern sie stellt auch eine Kontinuität in diesem Dossier sicher, das bisher von Norwegen, Irland und Niger (davor Deutschland, Schweden, die Niederlande und Grossbritannien) betreut wurde. Die Schweiz trägt so dazu bei, die Klimaveränderung in der multilateralen Sicherheitsarchitektur auf der Agenda zu halten.
Genauso wichtig ist aber auch, den Umwelt-Klima-Sicherheitsnexus auf operationeller Ebene weiter zu verankern. Die UNO-Friedensmission in Somalia hat erstmals einen Berater für Umwelt- und Klimasicherheit mitentsandt, inzwischen setzt die UNO ähnliche Berater auch anderswo ein.
Auch die nationale Sicherheitspolitik könnte die globalen Umwelt- und Klimarisiken noch umfassender in Analyse und Strategie einbeziehen. Die Erkenntnis, dass die Klimakrise die globale Friedens- und Sicherheitspolitik nachdrücklich verändert, hat Deutschland 2021 sogar dazu bewogen, die Federführung der UNO-Klimadiplomatie vom Umwelt- ins Aussenministerium zu verlegen.
* Jürg Staudenmann, ETH-Master in Umwelt und in Entwicklungszusammenarbeit, war 13 Jahre in verschiedenen Funktionen und Regionen für die UNO tätig, verantwortete bei Alliance Sud die Klima(aussen)politik und ist derzeit Senior-Experte am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).
Der Environment of Peace-Bericht wird an der Veranstaltung Security in a New Era of Risk präsentiert. Diese findet am 28. Oktober 2022 von 10:00 Uhr – 12:00 Uhr im Maison de la Paix, Petal 4, Chemin Eugène-Rigot 2D, in Genf statt. Im Folgenden können Sie weitere Informationen (auf English) sowie den Link zur Anmeldung finden:
The world is entering a new era of risk as acute environmental crises are compounded by a darkening security horizon. Climate change, biodiversity loss and resource scarcity are already impacting every part of the globe. At the same time, insecurity is on the rise, with a breakdown of arms control regimes, a doubling of conflict-related deaths in the last ten years, and now the war in Ukraine. A new flagship report from Stockholm International Peace Research Institute, the Environment of Peace report—explores how we can secure peace in this new era.
Supported by
Swiss Federal Department of Foreign Affairs, Permanent Mission of Sweden, Geneva, and Geneva Centre for Security Policy (GCSP)
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 465, November 2024, steht die erneute Untersuchung des Internationalen Strafgerichtshofs zu Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo im Fokus. Angesichts des anhalten Konflikts und der historischen Straflosigkeit ist es wichtig, Gewaltzyklen zu durchbrechen und dauerhafte Stabilität zu fördern. Espresso Nr. 465 | 05.11.2024
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)
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Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.
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