Editorial

Imperialer Angriffskrieg gegen die Ukraine

Seit über zwei Monaten tobt der grausame Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Jeden Tag erreichen uns neue entsetzliche Nachrichten über Zerstörung, Tod und Vertreibung in der Ukraine. Auch die Schweiz ist angehalten, die Ukraine in ihrem Widerstand zu unterstützen und mitzuhelfen, der russischen Kriegsmaschinerie den Nährboden zu entziehen.

Die russische Invasion ist so skrupellos, wie wir sie in einer zivilisierten Welt nie für möglich gehalten hätten: Spitäler, Schulen, Kindergärten, Kirchen und Wohnquartiere werden bombardiert, um die Zivilbevölkerung zu zermürben und die ukrainische Armee sowie die demokratisch gewählte ukrainische Regierung zur Kapitulation zu zwingen. Doch diese widersetzen sich tapfer und unter grosser Opferbereitschaft dieser brutalen russischen Aggression. Gröbste Verletzungen des humanitären Völkerrechts passieren täglich vor unseren Augen – und dies ausgerechnet in Europa, wo wir eigentlich davon ausgegangen waren, dass nach zwei entsetzlichen Weltkriegen im 20. Jahrhundert die Lehren daraus gezogen wurden.

Ob all diesen täglich schlimmen Nachrichten über zerstörte Städte, Kriegsverbrechen und deren Opfer und sowie über Vertriebene und Flüchtende stellt sich die Frage des Grunds für diesen Angriffskrieg immer wieder.

Dieses sinnlose Leiden und Sterben in der Ukraine kann seitens Russlands durch nichts gerechtfertigt werden, ausser mit Putins imperialistischem Grössenwahn und seiner Angst vor der Demokratie. Denn die Ukrainerinnen und Ukrainer haben seit ihrer Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 in zwei Freiheitsrevolutionen – in der orangen Revolution 2004 und mit der Maidan-Revolution 2014 – bewiesen, dass ihr Wille zur Eigenständigkeit und Demokratie stärker ist als die permanente und penetrante russische Bedrohung, das Land gewaltsam wieder unter seine autokratischen Einflusssphäre zu bringen.

2006 war ich zum ersten Mal in der Ukraine – damals als OSZE-Wahlbeobachterin für die Parlamentswahlen. Seither habe ich das Land wiederholt besucht und war fasziniert von seinen aufgeschlossenen und dankbaren Menschen, seinen sehenswerten Städten und dem unentwegten Willen, für die eigene Kultur, Sprache und Geschichte einzustehen.

Tragische Geschichte seit 1930-er Jahre

Die tragische Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert hat die Menschen stark geprägt. So erlitt das Land nicht nur immenses Leid während der beiden Weltkriege, sondern erlebte anfangs der 1930-er Jahre mit dem Holodomor, dem gezielten Aushungern der Bevölkerung durch das sowjetisch-stalinistische Regime, ein Trauma, das Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern das Leben kostete.

Das Ausmass dieser Hungerskatastrophe wurde mir persönlich erst bewusst, als ich während meines Präsidialjahrs 2016 das Holodomor-Museum in Kiew besuchte. In unseren Geschichtsbüchern fehlt dieses traurige Kapitel weitgehend, das von der sowjetischen Führung entweder systematisch verschwiegen oder propagandistisch umgedeutet wurde. Vom ukrainischen Parlament wurde der Holodomor 2003 und 2006 als Genozid am ukrainischen Volk erklärt und etliche weitere Regierungen und Parlamente anerkannten den Holodomor offiziell als Völkermord.

Vor diesem Hintergrund lässt sich der bewundernswerte ukrainische Widerstandswille gegen den russischen Aggressions- und Vernichtungskrieg besser verstehen. Auch auf dem Maidan haben 2014 couragierte Ukrainerinnen und Ukrainer eindrücklich bewiesen, dass ihr Kampfwille für Freiheit, Demokratie und Zugehörigkeit zu Europa weder durch Repression, brutale Gewalt noch die bittere Winterkälte gebrochen werden konnte.

Meine Reise führte mich 2016 nicht nur in die Ukraine, sondern auch nach Georgien und in die Republik Moldau und damit in zwei weitere Staaten, die schon lange vor der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim 2014 und der kriegerischen russischen Anstachelungen im Donbass sich mit der Verletzung ihrer territorialen Integrität konfrontiert sahen. Vom Westen wurden diese separatistischen Gebiete in Moldawien (Transnistrien) und Georgien (Südossetien und Abchasien) als sogenannte «frozen conflicts» hingenommen, doch diese hätten schon viel früher Hinweise auf das aggressive territoriale russische Machtgebaren liefern können.

Nun sehen wir uns mit einem Krieg in der Ukraine konfrontiert, der an Brutalität und Hässlichkeit unsere Vorstellungskraft bei weitem übersteigt. Deshalb sind wir auch in der Schweiz angehalten zusammen mit den westlichen Ländern, die unsere Werte teilen, alles in unserer Macht Stehende zu unternehmen, um die Ukraine und ihre Menschen zu unterstützen und der russischen Kriegsmaschinerie den Nährboden konsequent zu entziehen, damit diesem sinnlosen, unmenschlichen Krieg möglichst bald ein Ende gesetzt werden kann.

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