Kolumne

Europapolitik braucht Perspektiven

Das Verhältnis der Schweiz zur EU benötigt dringend neue Impulse. Die Optionen liegen dabei auf der Hand. Doch weder der Bundesrat noch das Parlament haben sich bisher dazu geäussert, wie es nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein Rahmenabkommen mit der EU europapolitisch weitergehen soll.

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen zu den bilateralen Verträgen mit der EU durch den Bundesrat im vergangenen Mai herrscht in Bundesbern Ratlosigkeit. Der Bundesrat machte diesen Schritt, ohne einen Plan B zu haben. Jetzt hofft er auf einen politischen Dialog mit der EU zu offenen Fragen im beiderseitigen Verhältnis. Zudem prüft er erneut, welche schweizerischen Gesetze allenfalls autonom an das EU-Recht angepasst werden müssten, um Nachteile für die hiesige Wirtschaft zu vermeiden.

Auch das Parlament hat keinen Plan. Zwei Sessionen sind verstrichen seit dem Verhandlungsabbruch, ohne dass es zu einer europapolitischen Initiative gekommen wäre – es sei denn, man werte die Freigabe der Kohäsionsmilliarde als Votum für die Fortsetzung des bilateralen Wegs. Die breite Allianz vom Freisinn über die Mitte und das grün-linke Lager bis zu den Gewerkschaften, die bisher die auf den Bilateralismus fixierte Europapolitik des Bundesrates mitgetragen hatte, existiert nicht mehr.

Stattdessen hat die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats eine parlamentarische Initiative für ein neues Bundesgesetz zur Europapolitik lanciert. Damit soll der Bundesrat an die Leine genommen werden; er soll in diesem Bereich nicht mehr schalten und walten können, wie es ihm gefällt. Doch was es jetzt braucht, sind nicht prozedurale Machtspiele zwischen Parlament und Bundesrat, sondern inhaltliche Perspektiven für die schweizerische Europapolitik.

Dabei sind die Optionen, die die Schweiz hat, klar. Sie lassen sich an einer Hand abzählen:

Als erste wollen jetzt offenbar Operation Libero und Grüne aktiv werden. Gemäss einem Bericht der Sonntagszeitung vom 31. Oktober planen sie, im Frühling 2022 eine EU-Initiative zu lancieren. Diese will den Bundesrat verpflichten, neue Verträge mit der EU auszuhandeln und diese zusammen mit den existierenden bilateralen Abkommen mit einem institutionellen Rahmen abzusichern. Nachteil: Bis die Volksinitiative zur Abstimmung kommt und etwas geschieht, vergeht viel zu viel Zeit. Die schweizerische Europapolitik braucht jetzt Perspektiven.

* Martin Gollmer ist freier Journalist. Von 1989 bis 1995 arbeitete er als EU-Korrespondent des Tages-Anzeigers in Brüssel. Von 1999 bis 2002 leitete er das Euro Info Center Schweiz bei der damaligen Exportförderungsorganisation Osec.

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