Der Schweizer Einsitz im UNO-Sicherheitsrat ist Vergangenheit, die UNO-Vertretung in New York kehrt vom Hoch- zum Normalbetrieb zurück. Was bleibt, ist ein Gewinn an diplomatischem Know-How und die direkte Erfahrung von Möglichkeiten und Grenzen aktiver Aussenpolitik unter den veränderten weltpolitischen Bedingungen. Alt-Botschafter Beat Nobs zieht Bilanz.
Am 14. März wurde durch das EDA der “Schlussbericht über das Mandat der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat (2023-2024) veröffentlicht. Über 33 Seiten und 9 Kapitel wird diese erste Einsitznahme der Schweiz in dieses wichtigste Gremium der UNO dargestellt: Die Prozesse in Verwaltung, Bundesrat und Parlament (sogar der Einbezug der Zivilgesellschaft und Wissenschaft), die Rollen der Schweiz in den formellen und informellen Organen des Rates. Richtigerweise wird natürlich der Einschätzung der Resultate am meisten Raum gegeben.
Aus Sicht des geneigten Beobachters, der als Karriere-Diplomat des EDA auch jahrelang multilaterale Aufgaben wahrnahm, stellt sich nach Ablauf der zwei Jahre Mitgliedschaft und nach eingehender Lektüre des Berichts die letztlich entscheidende Frage: Was hat die schweizerische Mitgliedschaft bewirkt (sowohl was die schweizerischen direkten Interessen als auch den schweizerischen Beitrag zu internationalen Problemlösungen betrifft)? Welches sind die lessons learned für die Schweiz und ihre Diplomatie?
Nüchtern betrachtet ergibt sich relativ kurz zusammengefasst folgendes Fazit:
1. Der UNO-Sicherheitsrat hat trotz der fundamentalen Krise des globalen Multilateralismus, trotz des sehr schwierigen globalen politischen Umfelds und trotz der Rückkehr der rücksichtslosen Machtpolitik nach wie vor eine immense Bedeutung als Plattform und Schaufenster der internationalen Politik: Gäbe es ihn nicht müsste man ihn erfinden.
2. Die Schweiz kann UNO-Sicherheitsrat: Was die Prozesse und die Mechanismen betrifft ist die schweizerische multilaterale Diplomatie auf der Höhe der Zeit, professionell und engagiert. Die Schweiz hat die Chance, für zwei Jahre am Tisch der Grossen zu sitzen genutzt. Würde es eine Bestätigung brauchen, dass die Schweiz zu den multilateralen Top-Adressen gehört, dann hat die Schweiz sie geliefert. Sie hat damit ihr internationales Profil gestärkt.
3. Diese demonstrierte Stärke als wichtiger multilateraler Akteur kommt natürlich auch dem Internationalen Genf zu Gute, und bildet mithin ein direktes positives Resultat im Sinne schweizerischer Interessenwahrung. Die Schweiz hat einmal mehr aufgezeigt, dass sie ein würdiger Gaststaat für viele internationale Organisationen ist.
4. Das erhöhte Profil und die demonstrierte Professionalität wirkt sich sicher auch auf die Marktmacht der Schweiz als Service-Dienstleisterin der “Guten Dienste” aus: Die Uebernahme von Schutzmachtmandaten (Letztes, im Bericht erwähntes Beispiel, Mexico/Ecuador 2024), die Gastgeber- oder gar Vermittlerrolle bei gewissen Konflikten (Sudan, Jemen, etc) sind Beleg dafür.
5. Etwas durchzogen ist jedoch – nüchtern betrachtet – die konkrete Leistungsbilanz bezüglich der Resultate der Arbeit im Rat selbst: Bei den im Bericht erwähnten Resolutionen und Erklärungen mit schweizerischer Beteiligung stellt sich natürlich – wie immer in der multilateralen Diplomatie – die Frage: Haben die mannigfaltigen Resolutionen und Erklärungen und Workshops und Sitzungen irgendeine konkrete Aussenwirkung ausserhalb des UNO-Hauptsitzes am East River in New York City erzielt, oder werden sie dies gegebenenfalls noch tun? Es sei dem Veteranen vieler solcher Veranstaltungen ein gewisser Zweifel erlaubt. Vieles muss wohl dem Kapitel “Ein positives Zeichen setzen” zugerechnet werden. Zwar hat die Schweiz ihren Ruf als globales Zentrum des Humanitären durch hohes, auch bundesrätliches, Engagement unterstreichen können, aber viel wirklich Bedeutendes konnte angesichts der politischen Grosswetterlage nicht verbucht werden. Die vielzitierte Resolution 2730 zum Schutz des humanitären und UNO-Personals zum Beispiel ist zwar lobenswert, ein Blick auf das Tagesgeschehen in den blutigsten Konfliktgebieten unserer Zeit zeigt leider jedoch wenig direkte Auswirkungen im Terrain. Kleinere Erfolge da und dort sollen aber durchaus gewürdigt werden. So gelang es der Schweiz in Partnerschaft mit anderen das Thema Klima im Sicherheitsrat besser zu verankern, so dass realistische Hoffnung besteht, dass die massive Sicherheitsproblematik des Klimawandels in Zukunft in der Arbeit des Rates vermehrt ihren Niederschlag findet.
Innenpolitisch erlaubte die sehr gute Konsultationsstruktur zwischen EDA und Parlament nicht nur einen sauber und verfassungsmässig korrekten Einbezug des Parlaments, welcher auch für die Zukunft das Verhältnis zwischen Bundesrat und Parlament in aussenpolitischen Fragen zu entkrampfen hilft. Gleiches gilt für die operationelle Zusammenarbeitsstruktur zwischen dem federführenden EDA und anderen Bundesstellen, sowie den punkto multilateraler Entscheidungsfindung in Bern bislang oft ausser Acht gelassenen Botschaften der Schweiz im Ausland. Deren verstärkte Einbeziehung verhalf wohl nicht nur zu einem besseren multilateralen Policy Making an der Zentrale, sondern zwang die oft multilateral ungeschulten Diplomaten an unseren Botschaften, sich mit den multilateralen Prioritäten ihrer Gaststaaten auseinander zu setzen: Der Aufbruch dieser Silos bot eine win-win situation für alle und trug wohl auch zur guten Performance der Schweiz bei.
Welche Lehren gilt es nun aus der Mitgliedschaft für die Schweiz zu ziehen?
• Die Schweiz kann UNO-Sicherheitsrat: Eine erneute Mitgliedschaft darf und soll als strategisches Ziel durchaus angedacht und und ausgesprochen werden. Vergleichbare Staaten tun dies seit langem.
• Der Einsatz für eine regelbasierte internationale Ordnung im Rahmen der multilateralen Diplomatie lohnt sich für die Schweiz weiterhin. Allerdings darf bezüglich der veränderten Rahmenbedingungen und Erfolgsaussichten in der multilateralen Diplomatie keine Naivität herrschen. Die schweizerische Aussenpolitik muss – vielleicht zu ihrem Leidwesen – sowohl strategisch als auch bezüglich Mitteleinsatz diesen Veränderungen vermehrt Rechnung tragen.
• Die interne bessere Koordination zwischen bilateraler und multilateraler Aussenpolitik soll beibehalten werden. Dazu könnte zum Beispiel auch eine Anpassung an die Berichterstattungspflicht der Botschaften zählen. Es macht sicher in manchen Fällen mehr Sinn, einen jährlichen Bericht zur multilateralen Politik des Gaststaates einzufordern als zum Beispiel einen Menschenrechtsbericht, etwa über die Lage in den OECD-Staaten. Das Thema Menschenrechte könnte als Kapitel durchaus in einem Bericht zur multilateralen Politik des Gastlandes Platz finden.
• Im Hinblick auf die Neutralitätsinitiative der SVP ist eine offene und ehrliche Diskussion um die realistischen Möglichkeiten der “Guten Dienste” vonnöten. Realistisch betrachtet insinuiert der Bericht vielleicht aus politischen Gründen eine zu grosse positive Interdependenz zwischen Neutralität und “Guten Diensten”, welche durch die Fakten nicht gestützt wird. Es gibt genügend Beispiele von geleisteten Vermittlungs- und Gastgeberrollen von nicht-neutralen Staaten, gerade bei den global bedeutensten Konflikten. Es besteht vor allem in der schweizerischen Innenpolitik eine gewisse Gefahr des «overselling» der guten Dienste. Das EDA ist hier aufgerufen, die Fakten ins rechte Licht zu rücken.
Dr. Beat Nobs ist Historiker und war in seiner Diplomatenkarriere unter anderem der erste Schweizer Umweltbotschafter, Vizepräsident der UNO-Klimakonvention und Botschafter in Kanada und in Neuseeland. Er ist Vorstandsmitglied des Swiss Diplomats Zurich Network.
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. Heute stehen die Bestrebungen diverser afrikanischer Staaten im Bereich der nuklearen Kernenergie im Fokus. Trotz der potenziellen Unterstützung durch China und Russland bleiben aufgrund der mit diesen Projekten verbundenen Risiken Zweifel bestehen. Nr. 475 | 08.04.2025
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) und Markus Mugglin (Schweiz – Europäische Union: Eine Chronologie der Verhandlungen) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?) Livre (F), Book (E), Buch (D)
Zu den BeiträgenDas Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fiel in turbulente Zeiten, der Rat hatte Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag haben wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammengefasst.
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