Themen der Woche: Hunger in Gaza, Sudan, Jemen, CAR, Abyei, Terrorismus, Reform
Hunger in Gaza: Seit zwei Jahrzehnten ist Hunger messbar. Es existiert eine Art Hunger-Thermometer, genannt Integrated Food Security Phase Classification (IPC), welche den Stand der Ernährungslage einer Bevölkerung in fünf Kategorien einteilt, von 1, «sicher», bis 5, «Hungersnot/humanitäre Katastrophe». IPC ist keine UN-Institution. Entstanden im Schoss der UN-Welternährungsorganisation, wird das Gebilde heute von grossen humanitären Gebern, privaten und staatlichen, getragen. Am 8. November schlug das Famine Review Commitee von IPC – ein Gremium von Experten – Alarm: «grosse Wahrscheinlichkeit, dass eine Hungersnot unmittelbar bevorsteht». Handeln sei «eine Frage von Tagen». Die Schweiz und Guyana, im Rat zuständige focal points für «Hunger und Konflikt», verlangten eine Dringlichkeitssitzung, unterstützt von Algerien und Slowenien. In der Debatte fuhren die UN-Vertreter schwerstes verbales Geschütz gegen die israelische Kriegführung auf. Die massive Beschädigung der zivilen Infrastruktur und die Vernichtung der Gaza-Landwirtschaft (70 Prozent der Fläche unbrauchbar, 95 Prozent des Viehbestands tot) trage direkt zur Not bei. Die Vertreterin des UNO-Nothilfebüros sagte, Israel blockiere die humanitäre Versorgung im Norden des Gazastreifens, wo 75 000 Personen bald ohne Wasser und Nahrung seien. Die Ratsmitglieder beklagten die Verletzungen des humanitären Völkerrechts und forderten Israel auf, die Behinderung der Versorgung zu beenden. Die Schweiz erinnerte Israel an seine Verantwortlichkeit als Besatzungsmacht und erklärte, der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe sei «strikt verboten» et constitue un crime de guerre dont les responsables devront répondre de leurs actes. Israel erklärte, der IPC-Expertenbericht sei ein “Meisterwerk an Desinformation, Voreingenommenheit und unehrlicher Berichterstattung”. Gaza werde versorgt. Die nichtständigen, gewählten Ratsmitglieder (Elected 10 – E10) – darunter die Schweiz – sind dabei, eine weitere Resolution für einen Waffenstillstand einzubringen.
Sudan: Der Bürgerkrieg nimmt an Grausamkeit zu und weitet sich mit dem Ende der Regenzeit aus. Vertreibung, Hunger, Gewalt an Zivilisten – vor allem Frauen – nehmen zu. Die UNO-Vertreterin erklärte, sowohl die Regierungsarmee wie auch die verselbständigten Rapid Support Forces – vergleichbar den früheren Janjaweed-Verbänden – gingen davon aus, dass sie militärisch siegen können. Ermöglicht werde dies durch den “steten Fluss” von Waffenlieferungen aus dem Ausland. Ohne Namen zu nennen, sagte sie: “Gewisse Verbündete der Parteien ermöglichen die Schlächterei im Sudan”. Die Ratsmitglieder forderten einen Waffenstillstand. Grossbritannien erklärte, auch wenn die Bedingungen für die Entsendung einer UNO-Blauhelmtruppe noch nicht gegeben seien, müsse die Option erwogen werden. Die Schweiz forderte die Respektierung des humanitären Völkerrechts und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfsleistungen, auch an der tschadisch-sudanesischen Grenze beim Posten Adré, (die sudaniesische Regierung hat den Verdacht, dass dieser für Waffenlieferungen benutzt wird). Daneben müsse darauf geachtet werden, dass der Krieg nicht auf bisher nicht betroffene Regionen ausgreife. Die Schweiz unterstütze alle Bemühungen des UNO-Sondergesandten und stehe à disposition.
Jemen: Der Rat hat die bestehenden Sanktionen gegen die Huthi-Milizen um ein Jahr verlängert. Eine von den USA verlangte Verschärfung, welche ein Vorgehen gegen die Hintermänner der Huthi-Angriffe auf die Schifffahrt im Roten Meer ermöglicht hätte, kam nicht zustande. Hinter geschlossenen Türen hörte der Rat einen Bericht des UNO-Sondergesandten über die weiterhin verfahrene Lage an. Vor dem UNO-Mikrophon traten 11 Ratsmitglieder – darunter die Schweiz – mit einer gemeinsamen Erklärung auf, worin die Bedeutung des Klimawandels als verschärfender Faktor für die Not der Bevölkerung unterstrichen wird. 18 Millionen Personen haben ungenügenden Zugang zu sauberem Trinkwasser und Toiletten. Die Erklärung verlangt mehr Koordination der «globalen Anstrengungen» zur Stärkung der Klima-Widerstandskraft vor Ort und eine bessere Überwachung der Grundwasserreserven und Frühwarnsysteme.
Abyei: Mit 14 Stimmen, bei einer Enthaltung (Russland), hat der Rat das Mandat der UNO-Sicherheitstruppe für die sudanesische Grenzregion Abyei um ein Jahr verlängert. Die Truppe soll die Grenzüberwachung unterstützen und «notwendige Aktionen» zum Schutz der Zivilbevölkerung unternehmen. Sudan und Südsudan werden angehalten, zur Entmilitarisierung von Abyei beizutragen. Russland begründete seine Enthaltung damit, dass die USA als penholder der Resolution ihre «ungesunden» Vorstellungen zur Lösung des Bürgerkriegs im Sudan in den Text geschrieben hätten.
Zentralafrikanische Republik CAR: Der Rat hat das Mandat von MINUSCA (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation en République centrafricaine) einstimmig um ein Jahr verlängert. Die Mission (14400 Soldaten, 3020 Polizisten, 108 Justizbeamte) soll zur Schaffung der «politischen, Sicherheits- und institutionellen Bedingungen für nationale Versöhnung und dauerhaften Frieden» beitragen.
Terrorismus: Die drei mit dem Kampf gegen Terrorismus befassten Ausschüsse 1267 (Islamischer Staat/Al Kaida) 1373 (Terrorismusabwehr) und 1540 (Proliferation von Massenvernichtungswaffen) haben ihren jährlichen Bericht abgestattet. Es wurde festgestellt, dass der Islamische Staat und Al Kaida sich gegenüber den bestehenden Massnahmen als «resilient» erweisen haben und ihre Nutzung von Kryptowährungen und digitalen Plattformen zur Finanzierung zunehmend Grund zur Sorge bereiten. Die Schweiz hob die Rolle der Ombudsperson als Anlaufstelle für Einsprachen gegen Sanktionsverfügungen hervor und forderte genauere Kriterien für die Sanktionslisten. UNO-Sanktionen gegen Terrorismus-verdächtige Unternehmen und Einzelpersonen werden vom Sicherheitsrat aufgrund von Empfehlungen von Expertengremien verhängt und sind schwer rückgängig zu machen.
Reform: Die Generalversammlung hat sich mit den zähflüssigen Verhandlungen um eine Reform des Sicherheitsrats beschäftigt. Einhellig wurde festgestellt, dass der Rat seiner Aufgabe («Wahrung von Frieden und Sicherheit in der Welt») nicht gerecht wird und seine Zusammensetzung den tatsächlichen Kräfteverhältnissen in der Welt nicht annähernd gerecht wird. Die Vorstellungen über eine Reform blockieren sich gegenseitig. Die Schweiz wiederholte ihren Vorschlag, dass die fünf ständigen Mitglieder (USA, Russland, China, Grossbritannien, Frankreich) im Falle von schwerwiegenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts auf die Ausübung ihres Vetos gegen Ratsresolutionen verzichten. Was die Erweiterung betrifft, spricht sie sich für eine «dritte Kategorie» nichtständiger Sitze mit der Möglichkeit zur Wiederwahl aus. Zurzeit gibt es zehn nichtständige Mitglieder (darunter die Schweiz) mit einer Mandatszeit von zwei Jahren ohne Möglichkeit zur Wiederwahl.
• Sudan
• Hunger in Gaza
• Jemen gemeinsame Presseerklärung
• Terrorismus
• Reform des Sicherheitsrats (Erklärung in Generalversammlung)
Kurz und Kräftig. Die wöchentliche Dosis Aussenpolitik von foraus, der SGA und Caritas. In der Ausgabe Nr. 466, November 2024, steht die Migrationsvereinbarung der EU mit Tunesien im Fokus. Zahlreiche Flüchtlinge sind unmenschlichen Bedingungen und Abschiebungen in Wüstengebiete ausgesetzt, was zu Spannungen auf der geopolitischen Ebene führt. Espresso Nr. 466 | 19.11.2024
Neue Beiträge von Joëlle Kuntz (La neutralité, le monument aux Suisses jamais morts) sowie von Martin Dahinden und Peter Hug (Sicherheitspolitik der Schweiz neu denken - aber wie?)
Livre (F), Book (E), Buch (D)
Das Schweizer Mandat im UNO-Sicherheitsrat (2023 und 2024) fällt in turbulente Zeiten, der Rat hat Schwierigkeiten, in den grossen Fragen Entscheide zu fällen. Jeden Samstag fassen wir das Ratsgeschehen und die Haltung der Schweiz zusammen.
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